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Übergreifendes Bildungsziel:
systematischer Aufbau der BildungsspracheFür schulischen Erfolg ist ein bestimmter Ausschnitt sprachlicher Fähigkeiten besonders relevant: die Bildungssprache. Sie unterscheidet sich von der Umgangs- und Alltagssprache auf Wort-, Satz-, Text- und Diskursebene und ist deutlich expliziter, präziser und komplexer (Tabelle 1). Bildungssprache findet Ausdruck im mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch und umfasst die Kompetenzbereiche Zuhören und Sprechen, Lesen (einschließlich mit Texten und Medien umgehen), Schreiben (einschließlich Rechtschreiben) sowie Sprache und Sprachgebrauch untersuchen.
Tabelle 1: Spezifische bildungssprachliche Charakteristika auf Wort-, Satz-, Text- und Diskursebene mit Beispielen
Spezifische bildungssprachliche Charakteristika auf …
Beispiele
Wortebene
- Präzise (Fach-)Begriffe: z. B. durchführen, thematisieren, explizit, homogen, Kontroverse, Assoziation
- Komposita (zusammengesetzte Wörter): z. B. Wasserkreislauf, Sprungbrett, Messwert
Satzebene
- Passivkonstruktionen: z. B. Das Paket wird geliefert.
- Passiversatzformen
- sich lassen + Infinitiv, z. B. Es lässt sich beobachten, dass …
- sein + zu + Infinitiv, z. B. Die Regeln sind zu befolgen.
- Partizipialattribute, z. B. die leuchtenden Farben
- Präpositionaladverbiale, z. B. unter Druck, durch Erhitzen
- Funktionsverbgefüge und Nominalisierungsverbgefüge: z. B. zum Kochen bringen, in Verbindung bringen, in Betracht ziehen, die Frage stellen
- Konjunktionalsätze (Satzgefüge)
- kausal (Begründung) eingeleitet durch: weil, da, etc.
- temporal (Zeit) eingeleitet durch: nachdem, während, seitdem, bis, etc.
- konditional (Bedingung) eingeleitet durch: falls, sofern, etc.
- modal (Art und Weise) eingeleitet durch: indem, als ob, wie wenn, etc.
Text- und Diskursebene (mit bestimmten Textsorten und Sprachhandlungen mit klarer Struktur und gleicher Abfolge)
- Fachspezifische Textsorten (kontinuierlich und diskontinuierlich): z. B. Protokoll, Unfallbericht, Kurzgeschichte, Tabelle, Diagramm
- Operatoren: z. B. benennen, beschreiben, analysieren, erörtern
Hinzu kommt, dass bildungssprachliche Charakteristika auf der Wort-, auf der Satz- sowie auf der Text- und Diskursebene fachbezogen eine spezifische Auspr gung aufweisen, etwa durch einen bestimmten Fachwortschatz und durch fachspezifische Textsorten. Diese spezifische Sprache bildet die sogenannte Fachsprache. Sie findet in fachspezifischen Kontexten Anwendung und ist erforderlich, um fach- und situationsspezifische Zusammenhänge zu verstehen und selbst zu produzieren (siehe Beispiele).
Beispiele für Fachwortschatz in Mathematik, Themenbereich Geometrie
Verben
zeichnen, ausmessen, berechnen, umfassen
Adjektive
symmetrisch, parallel, spiegelverkehrt, gegenüberliegend, quadratisch, rund
Nomen
Bezeichnung geometrischer Formen: z. B. Parallelogramm, Quadrat, Kreis, Bezeichnung geometrischer Körper: z. B. Kegel, Würfel, Zylinder
Satzstrukturen
- Komparation (Vergleichsformen):
- Positiv (+ wie): Der gelbe Kreis ist groß. Die Fläche des Quadrats ist genauso groß wie die Fläche des Rechtecks.
- Komparativ (Steigerung + als): Der blaue Kreis ist größer als der gelbe Kreis.
- Superlativ (Höchststufe): Der grüne Kreis ist am größten.
- Generalisierungen durch unpersönliche Pronomen: Die Form Körper nennt man Quadrat.
- Konditionalgefüge (Bedingungssatz): Wenn ein Viereck vier gleichlange Seiten und vier rechte Winkel hat, dann nennt man es Quadrat.
Beispiele für Fachwortschatz und Satzstrukturen in Musik
Verben
klingen, ertönen, streichen, blasen, klatschen
Adjektive
- Bezeichnungen der Lautstärke: z. B. laut, fortissimo, lautlos, piano
- Bezeichnungen des Tempos: z. B. verzögernd, gleichmäßig
- Bezeichnungen der Klangfarbe: z. B. monoton, klar
Nomen
- Bezeichnung von Musikinstrumenten: z. B. Tuba, Klavier, Kontrabass
- Bezeichnung des Bauplans und der Struktur: z. B. Refrain, Strophe
- Bezeichnungen des Klangs: z. B. Melodie, Moll, Dreiklänge
- Bezeichnungen der Tonhöhe: z. B. Bass, Sopran
Satzstrukturen
- Passiv: Die Geige ist das kleinste Instrument, das in der Familie der Streichinstrumente gespielt wird.
- Passiversatzformen: z. B. Die Tuba ist wegen der schlechten Akustik kaum zu hören.
- Partizipialattribute: z. B. die auftretenden Sängerinnen
Bildungssprachliche Kompetenzen sind individuell unterschiedlich ausgeprägt und werden maßgeblich von der Familie, der Schule und der Umgebung, in der Kinder aufwachsen, beeinflusst. Durch sprachliche Bildung – und unter Umständen auch ergänzend durch Sprachförderung – werden diese Kompetenzen in allen Sprachen weiterentwickelt und gestärkt.
Im Laufe der Bildungsbiografie steigen die bildungssprachlichen Anforderungen stetig. Daher werden mit zunehmenden Jahrgangsstufen Aufgabenstellungen, Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien sprachlich komplexer und damit einhergehend steigt auch der Anspruch in der selbstständigen Verwendung von Bildungssprache. Aus oben ausgeführten Gründen darf in der Schule jedoch nicht vorausgesetzt werden, dass alle Kinder und Jugendlichen über die erforderlichen bildungssprachlichen Kompetenzen verfügen, sondern es ist vorrangige Aufgabe der Schule, diese schrittweise aufzubauen und damit kontinuierlich weiterzuentwickeln. Insbesondere diejenigen Schülerinnen und Schüler, die in ihrer persönlichen Lebensumgebung wenig Berührungspunkte mit Bildungssprache (unabhängig davon, in welcher Sprache) haben, benötigen durchgängig Unterstützung beim Erlernen und Ausbau ihrer Bildungssprache sowohl in der deutschen Sprache als auch unter Umständen in ihren Herkunftssprachen.
Der Sprachenunterricht (Deutsch, Fremdsprachen, Herkunftssprachlicher Unterricht) übernimmt bei der (Weiter-)Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen eine zentrale und überaus bedeutende Rolle, um übergreifende bildungssprachliche Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen in allen Sprachen zu fördern.
Zugleich ist es in allen Bildungsetappen und damit in allen Schulstufen und Schulformen die gemeinschaftliche Aufgabe aller Lehrkräfte, auf der Basis der jeweiligen Ausgangslage der Lernenden die bildungssprachlichen Kompetenzen in allen Fächern und Lernbereichen gezielt zu fördern, um den Bildungserfolg zu erhöhen sowie die Teilhabe in der Gesellschaft zu stärken.2.1 Die deutsche Sprache
Die Unterrichtssprache im deutschen Schulsystem ist Deutsch.1) Bildungssprachliche Kompetenzen in der deutschen Sprache sind somit nicht nur Voraussetzung zum Lernen und für den Schulerfolg, sondern auch eine wesentliche Bedingung, um in der hiesigen Gesellschaft umfassend zu partizipieren und Möglichkeiten, z. B. beruflich, zu erhalten.
Alle Schülerinnen und Schüler, die in das deutsche Schulsystem eintreten, bringen zum Teil sehr unterschiedliche Kenntnisse und damit Voraussetzungen in der deutschen Sprache mit. Die Art und Weise der Nutzung der deutschen Sprache variiert, etwa mit Blick auf die Häufigkeit und Intensität der Sprachanlässe und Kommunikation in der Familie oder auch mit Blick auf die Nutzung der deutschen Bildungssprache innerhalb der Familie. All dies beeinflusst die sprachlichen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern in entscheidender Weise.
So gibt es Kinder, die bereits über sehr gute Kenntnisse in der deutschen Alltagssprache und über bildungssprachliche Kompetenzen in der deutschen Sprache verfügen, weil sie oftmals in einem sozioökonomisch besser gestellten und damit eher in einem bildungssprachlich geprägten und häufig sprachintensiveren Umfeld aufwachsen. Dieser Umstand kann auch auf Kinder zutreffen, die in ihren Familien neben Deutsch noch andere Herkunftssprachen oder auch Dialekte lernen und nutzen.
Zugleich gibt es auch einsprachig deutsch sowie auch mehrsprachig aufwachsende Kinder, die zwar über alltagssprachliche Kenntnisse in der deutschen Sprache verfügen, jedoch bildungssprachliche Kompetenzen lediglich in der Schule auf- und ausbauen, weil sie in ihrem außerschulischen Umfeld keine bis kaum Berührungspunkte zur deutschen Bildungssprache haben. Dies betrifft insbesondere Kinder aus Familien mit einem niedrigen Bildungsabschluss der Eltern oder Kinder aus dialektal geprägten Umfeldern. Zugleich treten auch Kinder in das deutsche Bildungssystem ein, die kein, kaum oder wenig Kontakt zu der deutschen Sprache haben, weil sie beispielsweise neu zugewandert sind oder weil die Familiensprache nicht Deutsch ist. Diese Kinder lernen Deutsch als Zweitsprache und müssen daher in der Schule neben den inhaltlichen Anforderungen auch die deutsche (Bildungs-)Sprache erlernen.
Mit Blick auf diese heterogenen Ausgangslagen und die steigenden Anforderungen der deutschen Bildungssprache im Verlauf der Bildungsbiografie sind der Aufbau und die Weiterentwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache von zentraler Bedeutung für die Verbesserung von Bildungsgerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler.2.2 Herkunftssprache(n)
Viele Schülerinnen und Schüler in NRW sprechen in ihrer Familie eine Sprache oder mehrere andere Sprachen als Deutsch, die so genannte(n) Herkunftssprache(n). In vielen Familien wird neben der/den Herkunftssprache(n) auch die deutsche Sprache gesprochen. Es gibt aber auch Kinder, die erst beim Eintritt in das hiesige formale Bildungssystem (i.d.R. im Elementarbereich) Deutsch und damit eine sogenannte Zweitsprache erlernen. Zugleich führen eine internationale Familiengeschichte und mehrsprachige Potenziale in der Familie nicht automatisch zu einem mehrsprachigen Aufwachsen von Kindern, da es auch Familien gibt, die trotz mehrsprachiger Ressourcen mit ihren Kindern ausschließlich Deutsch sprechen. Zur Ausbildung der sprachlichen Kompetenzen insgesamt ist dies für die Kinder bedauerlich, da ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wird, direkt und im natürlichen Umfeld mehrere Sprachen zu lernen. Insgesamt zeigt sich also eine enorme Vielfalt in Bezug auf die Sprachpraxis in Familien und somit auch in Bezug auf die sprachlichen Fähigkeiten in Deutsch und in der/den Herkunftssprache(n).
Ebenso wie beim Erwerb der deutschen Sprache gilt auch für den Erwerb der Herkunftssprachen, dass bildungssprachliche Kompetenzen in der jeweiligen Sprache maßgeblich durch die Art und Weise der Nutzung innerhalb der Familie mitbestimmt werden.
Der Zugang zur Bildungssprache und Schrift der Herkunftssprache(n) wirkt sich nachweislich positiv auf Sprachbildungsprozesse im Deutschen (vgl. Cummins 2000), auf das Lernen und zukünftige individuelle Möglichkeiten in einer globalisierten Welt aus. Zugleich beeinflussen bildungssprachliche Fähigkeiten in der deutschen Sprache die Weiterentwicklung herkunftssprachlicher Kompetenzen positiv (vgl. Marx/Steinhoff 2021).
Mit Blick auf die heterogenen Ausgangslagen in Bezug auf die Beherrschung von Herkunftssprache(n) ist der Aufbau und die Weiterentwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen in der/den Herkunftssprache(n) bedeutsam für die Sprachbildung mehrsprachig aufwachsender Schülerinnen und Schüler.2.3 Fremdsprachen
Beim Erlernen moderner Fremdsprachen bilden die Schülerinnen und Schüler funktionale kommunikative Kompetenzen sowie interkulturelle kommunikative Kompetenzen aus: Sie erlernen einerseits das Schreiben, Lesen, Hören und Sprechen in der jeweiligen Sprache und andererseits die jeweiligen kulturellen Besonderheiten, die es bei der Kommunikation zu berücksichtigen gilt. Dies befähigt zu gelingender Kommunikation und allgemein zu einem vertieften Verständnis von Menschen unterschiedlicher Herkunft.
Die alten Sprachen nehmen innerhalb der Fremdsprachen insofern eine Sonderrolle ein, als dass der Fokus beim Lernen nicht auf der Befähigung zur erfolgreichen Kommunikation in der entsprechenden Sprache liegt, sondern auf der in deutscher Sprache geführten Auseinandersetzung mit Originaltexten der Antike. Diese werden erschlossen, übersetzt und die Textaussagen unter Zugrundelegung des vorhandenen Sachwissens über die Antike sowie unter Einbezug der eigenen Lebenswirklichkeit interpretiert und kritisch erörtert. Analog zur kommunikativen Kompetenz im Bereich der modernen Fremdsprachen wird dies als historische Kommunikation bezeichnet, die das Leitziel des altsprachlichen Unterrichts darstellt.
Neben der Ausbildung kommunikativer Kompetenzen setzt Fremdsprachenunterricht außerdem einen Fokus auf den Auf- und Ausbau von Text- und Medienkompetenz und insbesondere auch auf den Erwerb und die Vertiefung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler erfahren Sprache als System, über das sie reflektieren und dessen Elemente sie zunehmend selbstständig für den weiteren Lernprozess sowie bei der direkten Kommunikation einsetzen können. Beim Erlernen mehrerer Fremdsprachen sind dabei Synergieeffekte beobachtbar: Erworbene Kompetenzen werden beim parallelen Erlernen mehrerer Fremdsprachen oder auch beim zeitversetzten Erlernen weiterer Sprachen genutzt, wodurch der Spracherwerb erleichtert und ggf. beschleunigt wird.
Fremdsprachenkenntnisse in mehr als einer Fremdsprache tragen entscheidend zur Erhöhung von Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität bei. Aus diesem Grund verfolgt die Europäische Kommission das ehrgeizige Ziel, dass alle Bürgerinnen und Bürger zukünftig mindestens zwei Fremdsprachen erlernen sollen, wodurch nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Einzelnen, sondern auch diejenige der Europäischen Union insgesamt gesteigert wird.1 Eine Ausnahme bilden bilinguale Schulen (dazu Punkt 3.2).
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