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4. Pädagogisch-didaktische Aspekte zur Verknüpfung von Präsenz- und synchronem Distanzunterricht
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4.1 Abwägung der Entscheidung bzgl. Präsenz- und Distanzunterricht
Verschiedene Aspekte sind vom jeweiligen Bildungsgangteam in den Blick zu nehmen, um zu einer Entscheidungsgrundlage zu kommen, welche der beiden Organisationsformen die Erreichung der Unterrichtsziele in der konkreten Schülergruppe unterstützt.
Zunächst sollte die Didaktische Jahresplanung in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, um die zeitliche Abfolge des Kompetenzerwerbs, verteilt auf die verschiedenen Jahrgangsstufen, zu analysieren. In einem nächsten Schritt ist die Frage zu beantworten, welche Form des Unterrichts grundsätzlich besser oder gleichwertig geeignet ist: Präsenzunterricht oder synchroner Distanzunterricht.
Hier bietet sich ein im Rahmen der Bildungsgangkonferenz erstellter Kriterienkatalog an, anhand dessen die Beteiligten die Entscheidung für Unterricht in Präsenz oder Distanz treffen können.
Abgewogen werden die Vor- und Nachteile des synchronen Distanzunterrichts gegenüber dem Präsenzunterricht bspw. hinsichtlich der folgenden Aspekte:
- Selbstregulation und Organisation
- Zeitmanagement
- Kollaboratives Arbeiten
- Eigenständigkeit
- Individualisiertes Lernen
- Nutzung digitaler Werkzeuge
- Förderung der Sozialkompetenz
- (digitale) Kommunikation(sformen)
Als Voraussetzung für die Durchführung von Distanzunterricht ist zu berücksichtigen, dass eine organisatorisch-technische sowie pädagogische Chancengerechtigkeit gewährleistet sein muss.
Darüber hinaus bietet der Distanzunterricht technische Möglichkeiten für eine didaktisch-methodische Ausgestaltung, welche die Individualität und die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler im Besonderen berücksichtigen (z. B. assistive Technologien).
Folgende Themenbereiche können bei der Entscheidungsfindung helfen:
- Form: An welchen Stellen (Lernfelder, Anforderungs- bzw. Lernsituationen, Jahrgangsstufen-Abschnitten, zu festgelegten Zeiten usw.) eignet sich im Rahmen der Didaktischen Jahresplanung Präsenz- und wann Distanzunterricht?
- Technische Rahmenbedingungen und Medieneinsatz: Welche technischen Voraussetzungen müssen für eine gute Ausgestaltung der Lernsituation vorliegen? An welchen Stellen bieten sich welche technischen Hilfsmittel an? (z. B. VR-Brillen, gezielte Programme/Software)
- Kompetenzerwerb: Welche digitalen Schlüsselkompetenzen bzw. welche Kompetenzen zur Vorbereitung auf die digitalisierte Arbeitswelt sollen besser in Präsenz, welche besser in Distanz gefördert werden?
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Lernende sowohl im Präsenz- als auch im Distanzunterricht im Sinne einer umfassenden Handlungskompetenz digitale Schlüsselkompetenzen erlangen müssen. Der synchrone Distanzunterricht kann besondere Möglichkeiten bieten, digitale Schlüsselkompetenzen zu entwickeln.
Innerhalb dieses Rahmens kann eine angepasste oder neu entwickelte Lernsituation in der Didaktischen Jahresplanung, beispielsweise über den Didaktischen Wizard Online (DWO), dokumentiert und im Anschluss evaluiert werden.
Für jeden Bildungsgang definiert die Bildungsgangkonferenz einen Verhaltenskodex, der klare Vereinbarungen und Regelungen für den Distanzunterricht enthält. Dieser Kodex sollte den Schülerinnen und Schülern zu Beginn jedes Schuljahres und im Bedarfsfall erläutert werden. Er beinhaltet unter anderem die Anweisung, dass bei synchronem Distanzunterricht die Bildübertragung in Videokonferenzen aktiviert sein soll.
Digitale Werkzeuge unterstützen den Schulalltag sowohl in Präsenz als auch in Distanz. Besonders im Distanzunterricht können digitale Werkzeuge Potenziale zur synchronen Binnendifferenzierung und individuellen Förderung bieten: Lernmaterialien lassen sich mit ihrer Hilfe mit geringem Aufwand individualisieren und somit auf die persönlichen Lernstände und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler anpassen.
Auch im Bereich der Binnendifferenzierung und individuellen Förderung sowie inklusiven Beschulung können digitale Werkzeuge die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern bereichern und unterstützen. Beispielhaft kann hier die Erstellung barrierefreier Unterrichtsmaterialien angeführt werden. So können Schülerinnen und Schüler mit Seheinschränkungen oder Leseschwäche die Vorlesefunktionen nutzen. Bei Schreibschwäche oder motorischen Einschränkungen helfen digitale Endgeräte mit unterstützenden Funktionen wie der Diktierfunktion, Sprachsteuerung etc. Unter Umständen lassen sich einzelne digitale Werkzeuge in Distanz besonders gut einsetzen.
Der Einsatz kollaborativer Arbeitstechniken im Unterricht fördert neben den fachlichen Kompetenzen auch die Sozial- und Kommunikationskompetenz und, je nach Einbindung in den Unterricht, auch die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler. Digital gestützte Kollaboration bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Zwischenstände und Ablaufplanungen zu speichern und bspw. zu Beginn der Folgestunde unkompliziert für den Unterrichtseinstieg nutzbar zu machen sowie die Realität der kollaborativ gestalteten Arbeitswelt auch im synchronen Distanzunterricht abzubilden.
Der Unterricht kann durch den synchronen Distanzunterricht flexibler gestaltet und der Einsatz digitaler Anwendungen erhöht werden. So kann bspw. das Nachschlagen, eine Bezugnahme zu Quellen und Medien, die Einbindung fremdsprachlicher Inhalte oder die Nutzung von Tools spontan und schnell realisiert werden.
4.2 Phasen der vollständigen Handlung im Präsenz-und Distanzunterricht
Das folgende Kapitel zeigt beispielhaft, wie die unterschiedlichen Phasen der vollständigen Handlung in der Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht abgebildet werden können.7 Zu jeder Phase werden Reflexionsimpulse ergänzt, die Raum für weitere didaktisch-methodische Überlegungen geben.
1. Information/Analyse/Zielsetzung
Die Schülerinnen und Schüler erhalten ein Einstiegsszenario im Rahmen einer Lernsituation/eines Lehr-/Lernarrangements. Um die Situation zu bewältigen und eine Lösung zu entwickeln, beschaffen sie sich selbstständig weitere Informationen oder nutzen von der Lehrkraft bereitgestelltes und didaktisch aufbereitetes Material.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Problemdarstellung und -identifikation
- Darstellung einer Szene mittels eines Videoclips
- Beschreibung einer Problemstellung mittels Handouts in synchroner Form und anschließendes Unterrichtsgespräch (z. B. in Distanz als Web-Seminar oder als Präsenzunterricht)
- Problemanalyse und -eingrenzung
- Fachgespräch im Distanzunterricht (z. B. mittels eines Forums im LMS)
- Kleingruppenarbeit im Distanzunterricht und/oder Teil-Präsenz (z. B. Chat im Messenger, Präsenzunterricht einer Teilgruppe der Klasse, selbstorganisierte Videokonferenz von Schülergruppen)
- Informationsbeschaffung und -dokumentation
- Einzelarbeit im Distanzunterricht (z. B. Internetrecherche unter Nutzung schülereigener Geräte)
- Partnerarbeit in Distanz (z. B. mittels kollaborativer Tools) oder in Präsenz
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Wie erhalten alle Schülerinnen und Schüler die Lernsituation bzw. Arbeitsaufgabe?
• Wird für alle Schülerinnen und Schüler die Problemstellung transparent?
• Sind bei (Klein-)Gruppenarbeit – insbesondere in Distanz – alle Schülerinnen und Schüler integriert?
2. Planung
Die Schülerinnen und Schüler entwickeln eine oder mehrere mögliche Vorgehensweisen für die Bearbeitung der Lernsituation/des Lehr-/Lernarrangements.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Planung der Arbeitsprozesse, Produkte und Werkstücke
- Brainstorming einer Kleingruppe (z. B. über kollaborative Tools)
- Austausch der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkraft (z. B. über Messenger der Schule)
- Festlegung von Zielen und Erstellung möglicher Zielplanungen
- Erstellen von Ablaufdiagrammen/Verfahrenslandkarten in Kleingruppen in Distanz (z. B. mittels Online-Tools)
- Erarbeiten eines Umsetzungsplans (z. B. im Chat)
- Strukturierung
- Einzelarbeit in Distanz (z. B. über binnendifferenzierte Aufgaben im LMS)
- Erarbeitung möglicher Zusammenhänge und Interdependenzen in Distanz (z. B. mittels digitaler, kollaborativer MindMaps)
- Diskussion über Details (z. B. mittels Chat, Konferenz oder im Präsenzunterricht)
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Welche Kompetenzen – auch digitale, kommunikative – haben die Schülerinnen und Schüler? Welche Kompetenzen haben die Lehrkräfte in diesem Bereich?
• Können sich die Schülerinnen und Schüler selbstständig untereinander austauschen?
• Werden die unterschiedlichen Stärken der Schülerinnen und Schüler konstruktiv eingebracht?
• Können Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung genutzt werden?
• Wie wird die Lernbegleitung auch zu den Prozessen im Distanzunterricht gestaltet?
3. Entscheidung
Auf der Grundlage der Planung wird entschieden, welches konkrete Produkt bzw. Ziel realisiert und welcher Lösungsweg gewählt wird. Darüber hinaus werden Vereinbarungen zur Weiterarbeit getroffen.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Entscheidungsfindung
- Diskussion denkbarer Herangehensweisen mit Chancen und Risiken sowie über die Vor- und Nachteile eines möglichen Produktes (z. B. Präsentation der Ideen in einem Blog und Kommentierung in Distanz)
- Festlegung auf ein Ziel und eine angemessene Vorgehensweise im Präsenz- oder Distanzunterricht (z. B. mittels einer Umfrage-/Feedback-App)
- Dokumentation
- Erstellung in Kleingruppen im Distanzunterricht (z. B. einen Wiki-Eintrag)
- Erarbeitung einer Präsentation in Teilgruppen im Präsenzunterricht (z. B. als Dokument in einer gemeinsamen Ablage)
- Visualisierung durch die Lehrkraft im Unterrichtsgespräch im Präsenz- (z. B. als Tafelbild) oder im Distanzunterricht (z. B. mittels Whiteboard in einer Videokonferenz)
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Wie kann eine mögliche Diskussion – gerade im Distanzunterricht – moderiert werden? Welche Methode und welches Tool bieten sich an?
• Ist eine Dokumentation der Ergebnisse dieser Phase so möglich, dass im Verlauf alle Schülerinnen und Schüler darauf Zugriff haben?
4. Durchführung
Die Schülerinnen und Schüler führen die in der Planungsphase erarbeiteten und in der Entscheidungsphase vereinbarten Schritte (selbstständig oder angeleitet) aus.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Produkterstellung
- Arbeit an einem digitalen Produkt (z. B. mittels kollaborativer Tools oder als Blog)
- Ausführung festgelegter Teilschritte ggf. unter Anleitung bzw. mit Hilfestellung (z. B. Betrachtung eines Videos und Ausfüllen eines im LMS bereitgestellten analogen/digitalen Beobachtungsbogens im Distanzunterricht)
- Praxisarbeit (z. B. in der Schulwerkstatt in kleinen Teilgruppen)
- Simulation
- Virtuelle Ermittlung eines Ergebnisses (z. B. mittels geeigneter Software auf den schulischen Tablets im Präsenzunterricht)
- Computersimulationen zu Prozessen (z. B. im Distanzunterricht auf der Lernplattform)
- Planspiele (z. B. mit Distanzunterrichtsanteilen und starker Selbstorganisation der Schülerinnen und Schüler)
- Dokumentation
- Erstellung in Gruppenarbeit im Distanzunterricht (z. B. einen Videobericht mit erkennbaren Anteilen jedes Gruppenmitgliedes)
- Sichern zentraler Ergebnisse (z. B. mittels digitaler Tools wie einem Wiki)
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Wodurch erhalten die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten zum praktischen Handeln?
• Wie können die Lernergebnisse einzelnen Schülerinnen und Schülern zugeordnet werden?
• Welche Aspekte dieser Phase sind für die Leistungsbewertung relevant?
• Wodurch wird die (Weiter-)Entwicklung von Methoden- und Fachkompetenz gefördert?
5. (Selbst-)Kontrolle/Prüfung
Die Schülerinnen und Schüler überprüfen selbstkritisch die Zielerreichung bzw. die Problemlösung vor dem Hintergrund der erfolgten Planung und der getroffenen Vereinbarungen.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Überprüfung der Zielerreichung
- Kriteriengeleitete Selbstüberprüfung des Grades der Zielerreichung (z. B. durch digitale Kontrollfragen)
- Anwendung auf einen Testfall
- Simulation der Nutzung in Einzelarbeit (z. B. mittels geeigneter Apps)
- Diskussion über Transfermöglichkeiten im Präsenzunterricht (z. B. Unterrichtsgespräch) oder im Distanzunterricht (z. B. Verfassen einer Ausarbeitung und Hochladen im LMS)
- Bearbeitung von Aufgaben
- Erstellen von Fragen und Peer-geleitete Kontrolle (z. B. Erstellen eines digitalen Quiz und Bearbeitung in Teil-/Kleingruppen)
- Überprüfung mittels Multiple-Choice-Test (z. B. digital mit automatischer Auswertung)
- Darstellung der Vorgehensweise
- Erstellen einer Dokumentation (z. B. Erstellen eines Screencasts, eines Videotutorials oder einer digitalen/analogen Anleitung)
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Welche Hilfestellungen zur Selbstkontrolle stehen zur Verfügung?
• Wie wird die Sozialkompetenz der Schülerinnen und Schüler gefördert?
• Wodurch werden alle Schülerinnen und Schüler einbezogen?
• Wird der Bezug zur Planungs- und Entscheidungsphase deutlich?
6. Reflexion/Bewertung
Die Schülerinnen und Schüler reflektieren das Ergebnis der Problemlösung bzw. den Grad der Zielerreichung sowie den Lösungsweg und die Prozesssteuerung.
Exemplarische Gestaltungsimpulse zu unterschiedlichen Aspekten
- Austausch von Lernergebnissen
- Erstellen einer analogen Präsentation (z. B. Plakat) im Distanzunterricht und deren Präsentation im Präsenzunterricht (z. B. Galeriegang)
- Sicherung der Ergebnisse in einer gemeinsamen digitalen Ablage (z. B. Schulcloud oder LMS)
- Erstellen eines digitalen Storyboards im Präsenzunterricht (z. B. als virtuelles Poster) und Präsentation im Distanzunterricht (z. B. als aufgezeichnetes Video)
- Kommentierung der Arbeitsergebnisse
- Peer-Feedback im Distanzunterricht (z. B. über Kurzkommentar in Form von Microblogging, digitale/analoge Umfragen/Apps)
- Peer-Feedback im Präsenzunterricht (z. B. Fünf-Finger-Feedback als Teil eines Schülerportfolios, digitales Abstimmmungstool)
- Reflexion der Vorgehensweise/des Prozesses
- Selbstreflexion in Einzelarbeit begleitend zu verschiedenen Phasen (z. B. mit digitalem Lernportfolio) und Verfassen eines Fazits (ggf. binnendifferenziert mit Leitfragen)
- Fremdreflexion im Distanzunterricht von Kleingruppen (z. B. Partnerinterview über Videotools)
Reflexionsfragen für Lehrkräfte
• Welche Transfermöglichkeiten bestehen?
• Wie erhalten die Schülerinnen und Schüler ganzheitliches Feedback durch die Lehrkraft?
• Wie reflektieren Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler gemeinsam die gesamte Unterrichtsreihe?
• Wie passen Lehrkräfte das Unterrichtsszenario auf der Grundlage der Evaluation für den nächsten Durchgang an?
7 Dabei werden die Phasen der vollständigen Handlung in Analogie zu den „Didaktischen Prinzipien der Ausbildung“ (https://www.bibb.de/de/141447.php) des BIBB dargestellt. Dies entspricht der Darstellung der Phasen der vollständigen Handlung der Handreichung „Didaktischen Jahresplanung“ (https://broschuerenservice.nrw.de/default/shop/Didaktische_Jahresplanung/25). Die Phasen Planung und Entscheidung sind jedoch getrennt aufgeführt.
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