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Sofern mehrsprachige Kinder bereits in ihrer Herkunftssprache oder einer ihrer Herkunftssprachen literalisiert sind, können sie bekannte Lesestrategien auf die Anwendung in deutschen Texten übertragen. Lesestrategien unterstützen das Textverstehen und können aus mehrsprachigen Kontexten häufig übertragen werden (Bulut & Bredthauer, 2022; Fleckenstein et al., 2018; Rosebrock, 2018). Lesestrategien können mehrsprachigen Kindern das Lesenlernen erleichtern, sind aber für alle Kinder eine wichtige Voraussetzung (Harris et al., 2022; Pallathadka et al., 2022; Ehm, 2018; Jeuk, 2018; Rösch, 2017).
Die einzelnen Strategien sollten im Unterricht systematisch eingeführt und von der Lehrkraft erklärt werden. Sie sollten Schritt für Schritt erarbeitet und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden.
Es lässt sich zwischen vier Arten von Lesestrategien unterscheiden (weitere Ausführungen finden sich im verlinkten Dokument) (Rosebrock & Nix, 2020), die im Folgenden beschrieben werden.
1. Vorbereitende Lesestrategien
Vor dem Lesen äußern Kinder erste Vermutungen und schauen sich den Text grob an, ohne ihn detailliert zu lesen.- Überschrift eines Textes bzw. Titel eines Buches betrachten
- eigenes Vorwissen aktivieren
- Überfliegen des Textes
- Visualisierungen betrachten
- …
Eine Möglichkeit, sich im Text zu orientieren, ist der Lesepilot. Kinder können so die hier aufgeführten Lesestrategien systematisch anwenden und selbst steuern.
3. Wie können Leseflüssigkeit und Leseverstehen im Unterricht gefördert werden?
Die Kompetenzerwartungen für den Bereich des Lesens sind im Lehrplan Deutsch für die Primarstufe in Nordrhein-Westfalen klar definiert und strukturiert (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2021, S. 14). Hierauf aufbauend gibt dieses dritte Kapitel grundlegende praxisnahe Hinweise für den Unterricht, indem es folgende Fragen beantwortet:
- Wie kann flüssiges Lesen gefördert werden? (s. Kap. 3.1)
- Wie können Lesestrategien das Leseverstehen ausbauen? (s. Kap. 3.2)
- Wie kann ritualisierte Leseförderung strukturiert werden? (s. Kap. 3.5)
Ergänzend werden im Anschluss die zwei neu entwickelten Methoden- und Materialsammlungen LESE-FOKUS (s. Kap. 3.3) und LeOn (s. Kap. 3.4), die im Austausch mit der Schulpraxis kontinuierlich weiterentwickelt werden, überblicksartig vorgestellt. Sie lassen sich dem Mehrebenenmodell nach Rosebrock & Nix (2020) zuordnen. Die einzelnen Ebenen können so gezielt in Unterricht und Förderung eingesetzt werden, um die Lesekompetenz der Kinder zu fördern (vgl. Abb. 9).
Beispielhafte Methoden für die Praxis aus dem LESE-FOKUS finden sich bereits innerhalb des Kapitels und werden der Förderung der einzelnen Fähigkeiten der Leseflüssigkeit und des Leseverstehens zugeordnet.
3.1 Leseflüssigkeit fördern
Im Lehrplan werden die Fähigkeiten, flüssig zu lesen und das Gelesene auch zu verstehen, gemeinsam im Kompetenzbereich „Über Lesefähigkeiten verfügen“ verortet. Da das flüssige Lesen eine Voraussetzung für das sinnentnehmende Lesen ist, setzt die Förderung meist bei der Leseflüssigkeit an.
Die Leseflüssigkeit (reading fluency) setzt sich aus vier verschiedenen Teilfähigkeiten zusammen (Rosebrock et al., 2021) (s. Abb. 10): Lesegenauigkeit, Automatisierung, Lesegeschwindigkeit und Prosodie. Kinder müssen all diese Fähigkeiten erlernen, um Leseverstehen entwickeln zu können.
Bevor im Detail die Förderung der vier Teilfähigkeiten des flüssigen Lesens beschrieben wird (s. Kap. 3.1.1-3.1.4), werden vorab zwei zentrale Verfahrensarten zur systematischen Leseförderung erläutert: Viellese- und Lautleseverfahren. Beides sind wichtige Herangehensweisen, um das flüssige Lesen zu fördern. Sie können sowohl im Unterrichts- als auch im Fördersetting angewendet werden.
Lautleseverfahren
Lautleseverfahren umfassen Methoden, bei denen Schülerinnen und Schüler Texte laut vorlesen. Hier werden alle Teilfähigkeiten des flüssigen Lesens angesprochen: Automatisierung, Genauigkeit, Geschwindigkeit und Prosodie, also die sinnentsprechende Betonung von Wörtern und Sätzen.Aber wie können Lautleseverfahren mit der ganzen Klasse durchgeführt werden? Es bietet sich beispielsweise an, dass Schülerinnen und Schüler im Wechsel in Kleingruppen das laute Lesen üben. Das Stationenlernen, in dem einige Gruppen laut lesen und andere Kinder an anderen Aufgaben arbeiten können, wäre hier ein mögliches Setting. Geeignete Methoden sind z. B. Lautlesetandems (s. Abb. 11), das Vorlesetheater oder auch der Lesewürfel (s. Kap. 3.3).
Didaktische Verfahren Leseförderung
Für den Unterricht
Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche Leseförderung mit Lautleseverfahren (Rosebrock & Nix, 2020)
- Anleitung durch die Lehrkraft: Einführung der Methode (z. B. Lautlesetandems)
- Einhaltung des Ablaufs bestimmter Methoden
- Textauswahl durch Anleitung der Lehrkraft, aber auch eigenständig durch die Schülerinnen und Schüler – dies kann z. B. im Wechsel erfolgen
- Wiederholung von Lesetexten
- Zeitliche Begrenzung der Übungen
- Lesepaare (z. B. bei Lautlesetandems) heterogen nach Leseleistung zusammensetzen
Vielleseverfahren
Vielleseverfahren sind Methoden, mit denen die Kinder ihr eigenes Lesepensum erhöhen. So werden z. B. festgelegte Zeiträume geschaffen, in denen die Kinder selbstbestimmt lesen. Es sollten möglichst individuell ausgesuchte und spannende Texte gelesen werden, um insbesondere die Lesemotivation zu steigern (s. Abb. 12) (Rosebrock & Nix, 2020). Die Lehrkraft kann den Schülerinnen und Schülern beratend zur Seite stehen oder den Austausch der Schülerinnen und Schüler untereinander anregen.Für beide Ansätze eignen sich sowohl analog als auch digital bereitgestellte Texte (s. z. B. LESE-FOKUS, Kap. 3.3, und LeOn, Kap. 3.4). Lautlese- und Vielleseverfahren schließen sich zudem nicht gegenseitig aus, sondern sollten zur umfassenden Förderung der Leseflüssigkeit und des Leseverstehens kombiniert werden.
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden anhand von praktischen Beispielen die spezifische Förderung der vier Teilfähigkeiten der Leseflüssigkeit beschrieben (s. Abb. 10), auch wenn diese nur aus einem funktionierenden Zusammenspiel gelingen kann.
Für den Unterricht
Beispiel: Vielleseverfahren
Sustained Silent Reading: Schülerinnen und Schüler bekommen mehrmals pro Woche die Möglichkeit, eigenständig zu lesen. Sie wählen selbst aus, was sie lesen möchten (Sach- oder literarische Texte). Der Zeitraum wird vorher festgelegt (z. B. 20 Min.). Es werden keine Aufgaben zu den Texten gestellt. Die Kinder dürfen selbst wählen, ob sie beispielsweise an ihrem eigenen Platz lesen, in der Leseecke im Klassenzimmer, auf dem Boden oder in der Schulbücherei.
3.1.1 Förderung der Lesegenauigkeit
Worum geht es?
Um flüssig lesen zu können, müssen Kinder die relevanten schriftsprachlichen Informationen entschlüsseln (dekodieren) können. Dazu gehören Elemente wie Buchstaben (Grapheme), Morpheme und Silben, aber auch Satzzeichen sowie die Groß- und Kleinschreibung (Breznitz, 1987; Gough & Tunmer, 1986; Hochstadt, 2022). Unter Lesegenauigkeit versteht man das korrekte Entschlüsseln dieser schriftsprachlichen Aspekte. Besonders zentral ist dabei die Graphem-Phonem-Korrespondenz (Buchstaben-Laut-Zuordnung). Die Lesegenauigkeit entscheidet darüber, wie viele Fehler ein Kind beim Lesen macht und wie häufig es sich selbst verbessern bzw. von der Lehrkraft korrigiert werden muss.Besonders für den Leseerwerb sind außerdem die Buchstabenkenntnis und der Ausbau des Wortschatzes (s. Kap. 1) für alle Kinder von zentraler Bedeutung (Ludewig et al., 2022; Rosebrock, 2018).
Förderung der Teilfähigkeiten
Wie kann es umgesetzt werden?
Genau zu lesen, also genau zu dekodieren, erfordert besonders zu Beginn des Leselernprozesses viel Konzentration. Kinder sollten deshalb zunächst auf Silben- und Wortebene beginnen, um sich dann zu steigern. Hilfreich ist auch das gemeinsame laute Lesen mit einer Partnerin oder einem Partner (s. Abb. 11 und 13), da so Fehler oder Stolpersteine direkt gemeinsam geklärt werden können (Rosebrock et al., 2021).Für analoge Texte bieten sich auch Lesehilfen an. Die Kinder verfolgen beispielsweise im Text mit dem Finger Buchstabe für Buchstabe oder Silbe für Silbe bzw. Wort für Wort, wo sie sich beim Lesen befinden (s. Abb. 13). Bei längeren Texten kann der Text z. B. Zeile für Zeile mit einem Blatt Papier abgedeckt und dann freigelegt werden.
Beim digitalen Lesen ergeben sich weitere Möglichkeiten, die Lesegenauigkeit zu fördern. Im Unterricht sollten Schülerinnen und Schüler deshalb dabei angeleitet werden, mit den digitalen Textbearbeitungsmöglichkeiten ihre Lesegenauigkeit zu verbessern (s. Infokasten) (Philipp, 2020).
Für den Unterricht
Das Dekodieren durch digitale Textbearbeitung erleichtern:
- Buchstaben- und Zeilenabstand größer einstellen
- Schriftgröße anpassen (z. B. auf Webseiten über die Zoom-Funktion)
- die Länge der Zeilen begrenzen, um horizontales Scrollen zu vermeiden
- die Länge des Textes begrenzen, um unnötiges Scrollen zu vermeiden
3.1.2 Förderung der Automatisierung
Worum geht es?
Der erfolgreiche Erwerb eines grundlegenden Wortschatzes ist für die Automatisierung des Leseprozesses auf Wort- und Satzebene besonders zentral. Die Schülerinnen und Schüler müssen zum einen das Schriftbild eines Wortes erkennen können (Sichtwortschatz) und dieses zum anderen gleichzeitig mit ihrem mentalen Lexikon abgleichen, sodass sie das visuelle Schriftbild mit der mentalen Bedeutung des Wortes verknüpfen können. Dabei spielt eine wichtige Rolle, wie viele und welche Wortbedeutungen im mentalen Lexikon gespeichert sind und wie schnell diese abgerufen werden können. Auch der Erwerb mehrerer Sprachen ist hier relevant.Lesegenauigkeit bedeutet aber auch, die Automatisierung der Worterkennung sowie das sinnentnehmende Lesen zu fördern. Dies kann z. B. mit Methoden auf Buchstaben-, Silben- und Wortebene geleistet werden. Je automatischer die Kinder auf Laute und Buchstaben zugreifen und diese verknüpfen können, desto leichter fällt ihnen das verstehende Lesen und desto weniger Fehler machen sie. Durch die Automatisierung von Prozessen werden kognitive Kapazitäten frei, die für die Sinnentnahme benötigt werden.
Kinder müssen also Buchstaben- und Lautfolgen möglichst schnell und sicher wiedererkennen (automatisieren). Außerdem müssen sie Wörter innerhalb eines einzelnen Satzes in einen Bedeutungskontext einordnen und darüber hinaus auch den Sinnzusammenhang zwischen mehreren Sätzen herstellen können (lokale Kohärenz) (s. Kap. 3.2). Ungeübte Leserinnen und Leser benötigen Unterstützung dabei, die verschiedenen bedeutungsrelevanten Ebenen eines Satzes zu entschlüsseln und beispielsweise Nebensätze zu erkennen (Rosebrock et al., 2021). Syntaktische Fähigkeiten, z.B. das Wissen über die Stellung des Verbs im Hauptsatz oder das Erkennen und Verstehen von Nebensatzstrukturen, tragen ebenfalls wesentlich zur Automatisierung bei. Besonders Konjunktionen, u. a. „weil“, „wenn“, „deshalb“, und „obwohl“, stellen viele Kinder vor Herausforderungen (Christmann & Groeben, 1999; Gunnerud et al., 2022).
Fortgeschrittene Leserinnen und Leser können in Texten schon komplexere Strukturen verarbeiten:
- Nebensätze mit schwierigeren syntaktischen Gefügen wie „sowohl … als auch …“;
- Relativsätze mit Pronomen;
- Verbendstellungen im Nebensatz;
- Sätze mit verschiedenen Zeitformen (Perfekt, Futur etc.);
Wie kann es umgesetzt werden?
Durch intensive und wiederholte Übungen können die Automatisierungsprozesse von Kindern auf Wort- und Satzebene gefestigt und kann das flüssige Lesen ausgebaut und verbessert werden. Alle schriftsprachlichen Ebenen und Einheiten sollten trainiert werden: Silben, Wörter und Sätze.Methoden aus dem LESE-FOKUS (s. Kap. 3.3), die hier genutzt werden können, sind z. B.
- Monsternamen,
- Fahrstuhllesen und
- Silbenteppich.
3.1.3 Förderung der Lesegeschwindigkeit
Worum geht es?
Der Lesegeschwindigkeit, d. h., dem realen Tempo, mit dem ein Kind schriftsprachliche Einheiten liest, kommt eine eher untergeordnete Rolle zu. Sie konnte in Studien als nicht signifikante Fähigkeit für das Leseverstehen identifiziert werden (Dowd & Bartlett, 2019; Paige et al., 2017). Dennoch kann sie sich deutlich auf die Leseflüssigkeit der Schülerinnen und Schüler auswirken.Für die Lesegeschwindigkeit sind, besonders zu Beginn des Schriftspracherwerbs, die zuvor erwähnten Automatisierungsprozesse ausschlaggebend. Die Benennungsgeschwindigkeit ist die zentrale Fähigkeit der Automatisierungsprozesse. Auch die phonologische Bewusstheit als Teil der phonologischen Informationsverarbeitung, die kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses der Kinder sind im Schriftspracherwerb relevante Faktoren für eine angemessene Lesegeschwindigkeit (s. Kap. 5) (Mayer, 2022a). Die Lesegeschwindigkeit kann zudem in diagnostischer Hinsicht Aufschluss darüber geben, ob Schwierigkeiten im Leseerwerb vorliegen könnten (s. Kap. 4).
Wie kann es umgesetzt werden?
Für die Förderung der Lesegeschwindigkeit, welche sich positiv sowohl direkt auf die Leseflüssigkeit als auch indirekt auf die Lesemotivation und -freude der Kinder (s. Kap. 6) auswirkt, eignen sich insbesondere folgende Methoden aus dem LESE-FOKUS (s. Kap. 3.3):- Blitzlesen,
- Wörter abklatschen.
3.1.4 Förderung der Prosodie
Worum geht es?
Zum korrekten und flüssigen, lauten Lesen gehört auch eine zum Bedeutungsgehalt passende akustische Sprech- und Stimmgestaltung (Prosodie). Dabei sollten beispielsweise bedeutungstragende Einheiten wie Wörter oder Sätze durch prosodische Variationen, meist Betonungen, hervorgehoben werden. Außerdem sollen Sätze in einem angemessenen Lesetempo und im richtigen Rhythmus gelesen werden. Die Verwendung sinnvoller Betonungen und sprechrhythmischer Prozesse kann eine große Herausforderung für Erstleserinnen und Erstleser darstellen.Wie kann es umgesetzt werden?
Die Prosodie sollte selbstverständlich im lauten Lesen geübt werden (Rosebrock & Nix, 2020), auch wenn es Entsprechungen im leisen Lesen gibt. Deswegen ist es notwendig, im Leseunterricht sowie in der Leseförderung zwischen den erwähnten Laut- und Leiseleseverfahren zu wechseln (s. Kap. 3.1). Da sich im lauten Lesen Wechselwirkungen zwischen Prosodie und Bedeutung vollziehen, werden nicht nur die akustische Sprech- und Stimmgestaltung, sondern zugleich auch das sinnentnehmende Lesen gefördert. Eine Förderung der basalen Fähigkeiten der Leseflüssigkeit, z. B. das Training der Automatisierungsprozesse auf Wort- und Satzebene, unterstützt das prosodische Lesen zusätzlich (Rosebrock et al., 2021).Methoden aus dem LESE-FOKUS (s. Kap. 3.3), die hier genutzt werden können, sind z. B.
- Lautlesetandems und
- Vorlesetheater.
Lautleseverfahren mit Fokus der Förderung der Prosodie können zudem mit der digitalen Leseumgebung LeOn (vgl. Kap. 3.4) umgesetzt werden.
INFO
Prosodie
Die Prosodie umfasst alle gestaltbaren akustischen Eigenschaften der gesprochenen Sprache, wobei die Intonation ein spezifischer Teilaspekt ist (Gussenhoven, 2004):- Wort- und Satzakzente,
- Tonhöhe,
- Intonation und Satzmelodie (Tonhöhenvariationen) sowie
- Rhythmus, Tempo und Pausen.
3.2 Leseverstehen fördern – Lesestrategien anwenden
Leseverstehen gehört zu den hierarchiehohen Prozessen der Lesekompetenz. Im Folgenden werden verschiedene Ebenen des Leseverstehens getrennt voneinander dargestellt, um es anschaulich auf den Unterricht beziehen zu können. Die einzelnen Komponenten greifen aber ineinander.
Situationsmodell des Leseverstehens
Kompetente Leserinnen und Leser können Texte sinnentnehmend, also verstehend lesen. Dafür müssen sie zum einen auf Satzebene inhaltliche Verknüpfungen herstellen (lokale Kohärenz) (s. 3.2.1) und zum anderen den Text als Gesamtes erfassen können (globale Kohärenz) (s. Kap. 3.2.2). Um das Leseverstehen insgesamt auf Satz- und Textebene zu trainieren, brauchen Schülerinnen und Schüler sogenannte Lesestrategien. Diese kommen vor, während und nach dem Lesen zum Einsatz (Rosebrock & Nix, 2020) (s. Kap. 3.2.3). Eine weitere Besonderheit ist zunehmend das Leseverstehen beim digitalen Lesen (s. Kap. 3.2.4). Grundsätzlich ist es wesentlich komplexer, das Leseverstehen zu fördern als die Leseflüssigkeit, da hier sowohl die hierarchieniedrigen als auch die hierarchiehohen Prozesse des Textverstehens gefördert werden sollen (vgl. Kap. 1). Eine Förderung des Leseverstehens sollte deshalb immer in allen Fächern berücksichtigt und sichergestellt werden.
3.2.1 Leseverstehen auf Satzebene fördern – lokale Kohärenz
Das Leseverstehen auf Satzebene, also die Herstellung der lokalen Kohärenz, kann mit einer Vielzahl von Methoden gefördert werden. Diese setzen an unterschiedlichen Aspekten an.
1. Lautleseverfahren
Erstens kann das Leseverstehen auf Satzebene durch ein Training der Leseflüssigkeit sowie durch Lautleseverfahren gefördert werden. Kinder lernen am besten, den Sinn zwischen einzelnen Sätzen herzustellen, wenn sie flüssig lesen (Rosebrock & Nix, 2020).Für den Unterricht
Kinder lesen Sätze laut mehrfach hintereinander. Dies fördert die Lesegeschwindigkeit, die Automatisierung und insbesondere das Leseverstehen (Krug & Nix, 2017).
Chorisches Lesen
Kinder lesen gleichzeitig den Text (halb-)laut vor. Die Leseflüssigkeit kann trainiert werden. Ein Kind ist der Tutor bzw. die Tutorin – eine leistungsheterogene Zusammensetzung ist sinnvoll.Kooperative Verfahren
Kooperative Lautleseverfahren, z. B. in Partnerarbeit, sind ebenfalls hilfreich. Dabei können stärkere Leserinnen und Leser den schwächeren Hilfestellungen geben.Hörbuchlesen
Ein Hörbuch wird abgespielt und die Kinder lesen gleichzeitig (halb-)laut mit.2. Hörendes Lesen
Eine zweite, dem Hörbuchlesen ähnliche Möglichkeit bildet das sogenannte „Hörende Lesen“ (Lösener, 2023).In einer als „Systemisches Lesen“ (Lösener, 2006) bezeichneten Variante wird die Förderung des Satzverstehens wie folgt umgesetzt.
Die Kinder lesen für sich einen Text halblaut und versuchen, unterschiedliche Personen auszumachen. Dabei helfen ihnen nachfolgende Fragen:
- Wie viele Stimmen kannst du identifizieren?
- Wem gehört welche Stimme?
- Wie würde Person A sprechen?
Der Ansatz soll Kindern primär das sinnentnehmende Lesen erleichtern und schult gleichzeitig ihre literarische Kompetenz sowie die Prosodie. Sie lernen z. B. unterschiedliche Textformen und ihre Besonderheiten wie Gedichte oder Märchen kennen. Beispiele finden sich z. B. auch hier:
www.loesener.de3. Visuell-motorische Unterstützung
Eine dritte Herangehensweise setzt bei visuell-motorischer Unterstützung des Leseverstehens auf Satzebene an. Möglichkeiten für den Unterricht sind z. B.:- Kinder verfolgen mit dem Finger, wo im Satz sie sich befinden (s. Abb. 13).
- Es wird immer nur eine Zeile des Textes aufgedeckt. Der Rest kann mit einem Blatt oder vorgefertigten Lesehilfen, wie z. B. einem Leseschieber, verborgen werden.
4. Anpassung des Textniveaus
Eine vierte Möglichkeit der Förderung des Leseverstehens auf Satzebene setzt daran an, den Schwierigkeitsgrad des zu lesenden Textes sowohl inhaltlich als auch in seiner visuellen Präsentation an die Zielgruppe bzw. individualisiert an das einzelne Kind anzupassen. Ansatzmöglichkeiten der Komplexitätsgestaltung und -reduktion für leistungsschwache sowie Erhöhung für leistungsstarke Kinder – sind:- Schriftart,
- Schriftgröße,
- bildhafte Visualisierung als Ergänzung,
- quantitative und qualitative Aspekte des Wortschatzes sowie
- quantitative und qualitative Aspekte der Syntax.
Texte für Erstleserinnen und Erstleser sollten wesentlich weniger komplexe sprachliche Strukturen aufweisen, z. B.:
- möglichst einfache Konjunktionen;
- keine oder einfache Nebensätze;
- eher eindeutige Informationen vermitteln und wenig Interpretationsspielraum lassen;
3.2.2 Vorwissen als Voraussetzung für das Leseverstehen fördern
Das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler spielt eine zentrale Rolle im Prozess des Leseverstehens. Die Schülerinnen und Schüler bringen neben dem Vorwissen aber auch individuelle Erfahrungen und mit bestimmten Themen verknüpfte Emotionen in den Lesekontext ein, welche alle besonders auch für die Herstellung der globalen Kohärenz von Bedeutung sind.
Dem Lesen eines Textes sollte also immer eine Phase der Aktivierung von Wissen und Erfahrungen vorausgehen. Schülerinnen und Schüler können beispielsweise angeleitet werden, Ideen, Assoziationen, Gedanken oder ggf. auch Bildimpulse zum Thema des Textes zu entwickeln und zu diskutieren. Dies bietet sich insbesondere bei der gemeinsamen Betrachtung von Textüberschriften an (Krug & Nix, 2017; Rosebrock & Scherf, 2022; Wildemann, 2021; Wildemann & Merkert, 2020).
Lesen in mehrsprachigen Kontexten
Für den Unterricht
Wie kann Vorwissen gesammelt werden?
- Stichwörter
- kurze Sätze
- Bilder (z.B. in Form einer Bildersammlung oder -galerie)
- Cluster
- kurze eigene Texte
- …
3.2.3 Anwendung von Lesestrategien zur globalen Kohärenzbildung fördern
Fast alle Schülerinnen und Schüler setzen intuitiv individuelle Lesestrategien ein. Lesestrategien sollen das Leseverstehen unterstützen und ermöglichen. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen oder Techniken, die automatisiert ablaufen und gleichzeitig geübt werden müssen, um sie gezielt beim Lesen einsetzen zu können (Rosebrock & Scherf, 2022; Spinner, 2006b).
Es ist sinnvoll, diese Entwicklungen didaktisch zu begleiten und zu rahmen sowie sie ggf. stringent einzuführen. Gerade die Vermittlung von niedrigschwelligen Lesestrategien ist besonders für die Schuleingangsphase wichtig. Auch für Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten im Leseerwerb sind Strategien geeignet, um die Fertigkeit des sinnentnehmenden Lesens zu unterstützen (s. Kap. 5).
Lesestrategien digital & analog
Sofern mehrsprachige Kinder bereits in ihrer Herkunftssprache oder einer ihrer Herkunftssprachen literalisiert sind, können sie bekannte Lesestrategien auf die Anwendung in deutschen Texten übertragen. Lesestrategien unterstützen das Textverstehen und können aus mehrsprachigen Kontexten häufig übertragen werden (Bulut & Bredthauer, 2022; Fleckenstein et al., 2018; Rosebrock, 2018). Lesestrategien können mehrsprachigen Kindern das Lesenlernen erleichtern, sind aber für alle Kinder eine wichtige Voraussetzung (Harris et al., 2022; Pallathadka et al., 2022; Ehm, 2018; Jeuk, 2018; Rösch, 2017).
Die einzelnen Strategien sollten im Unterricht systematisch eingeführt und von der Lehrkraft erklärt werden. Sie sollten Schritt für Schritt erarbeitet und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert werden.
Es lässt sich zwischen vier Arten von Lesestrategien unterscheiden (weitere Ausführungen finden sich im verlinkten Dokument) (Rosebrock & Nix, 2020), die im Folgenden beschrieben werden.
1. Vorbereitende Lesestrategien
Vor dem Lesen äußern Kinder erste Vermutungen und schauen sich den Text grob an, ohne ihn detailliert zu lesen.- Überschrift eines Textes bzw. Titel eines Buches betrachten
- eigenes Vorwissen aktivieren
- Überfliegen des Textes
- Visualisierungen betrachten
- …
Eine Möglichkeit, sich im Text zu orientieren, ist der Lesepilot. Kinder können so die hier aufgeführten Lesestrategien systematisch anwenden und selbst steuern.
Für den Unterricht
Der Lesepilot
Mittels des Lesepiloten können Kinder grundlegende Lesestrategien anwenden und so ihr Leseverstehen trainieren bzw. überprüfen.Der Lesepilot kann vor, während und nach dem Lesen angewendet werden.
Vor dem Lesen stellen die Kinder Vermutungen über den Textinhalt an. Dies kann z. B. auch in Kleingruppen passieren. Sie können sich beispielsweise über Überschriften oder Bilder zum Text austauschen. Dabei knüpfen sie an Vorwissen und eigene Erfahrungen an.
2. Ordnende Lesestrategien
Kinder sollen den Text strukturieren, um den Lesefluss für sich selbst zu vereinfachen.- Informationen (farblich) markieren
- Überschriften für Textabschnitte finden und an den Text schreiben
- einen zentralen Satz oder ein Wort pro Abschnitt notieren oder als Audio aufnehmen
- bei Fragen zum Text entsprechende Stellen, die Antwort darauf geben, markieren
- eine Übersicht mit Stichwörtern aus dem Text erstellen (z.B. eine Mindmap oder eine digitale Pinnwand)
- …
3. Elaborierende Lesestrategien
Mit dem Text werden eigene Meinungen und Gefühle reflektiert. Das gesammelte Vorwissen kann hier eingebracht und diskutiert werden:- einzelne Textstellen als Umschreibungen oder gezeichnete Bilder veranschaulichen; es können auch eigene Bildergeschichten erstellt werden; außerdem kann das Gelesene in mentale Vorstellungsbilder umgewandelt werden („mental imagery“)
- eigene Fragen an den Text formulieren
- Pro- und Contra-Diskussionen initiieren, z. B. in Form von Partnerarbeit oder im Klassengespräch
- …
4. Wiederholende Lesestrategien: Verstehen durch Wiederholung verbessern
Um das Leseverstehen weiter auszubauen, können einzelne Textstellen oder Satzteile mehrfach gelesen werden.- eine Textstelle oder einen (Ab-)Satz noch einmal lesen
- nochmalige Überprüfung des Leseverstehens durch Fragen
- lautes Vorlesen anleiten
- …
Die Lehrkraft als Lesemodell
Lesestrategien können vor allem durch Imitation gelernt werden. Die Lehrkraft fungiert also als „Lesemodell“ und demonstriert den erfolgreichen Einsatz ihrer eigenen Lesestrategien. Sie ist dabei Vorbild und bietet durch das Gespräch über ihre eigenen Strategien eine Grundlage zur Reflexion für die Schülerinnen und Schüler (Krug & Nix, 2017).
Als konkrete Methode kann beispielsweise das „Laute Denken“ im Unterricht implementiert werden.
Lesestrategietraining
Für den Unterricht
Vorgehen „Lautes Denken“ Rosebrock & Nix, 2020
Ein Text wird (von der Lehrkraft oder von einer Schülerin bzw. einem Schüler) laut vorgelesen.
Schritt 1: Die vorlesende Person stellt sich vor der Lektüre laut Fragen zu Titel und möglichem Inhalt. Beim Lesen stoppt sie, wenn sie etwas nicht versteht oder eine Frage an den Text notieren möchte. Die vorlesende Person sagt immer wieder, wie sie gerade beim Lesen vorgeht, z. B. "Ich schaue erstmal, wie lang der Text ist. Dann suche ich nach besonderen Wörtern, die mir auffallen. Ich schreibe mir beim Lesen auf, was ich nicht verstanden habe.", usw.
Schritt 2: Die Schülerinnen und Schüler üben, die gelernten Lesestrategien selbst anzuwenden. Es bietet sich an, mit einfachen Lesestrategien zu beginnen, z. B. zunächst den Titel zu betrachten oder nach Bildern bzw. Grafiken im Text zu suchen. Die Strategien sollten zunächst auf Satzebene eingeübt werden. Im Verlauf können die Strategien für ganze Texte eingesetzt werden.
Schritt 3: Die Schülerinnen und Schüler sollen einen selbstständigen und reflektierten Umgang mit den Lesestrategien entwickeln. Dafür ist es wichtig, die angewandten Strategien zu besprechen und Schwierigkeiten direkt zu klären. Dies könnte beispielsweise in einer Projektarbeit oder einer Unterrichtsreihe als Thema behandelt werden. Lesestrategien sollen mit Texten verschiedener Gattungen (Sachtext, Geschichte usw.) immer wieder geübt und so gefestigt werden.
Exkurs: Leseverstehen beim digitalen Lesen
Schülerinnen und Schüler werden in ihrer Bildungs- und zukünftigen Berufsbiografie auch immer stärker mit digitalen Texten und Formaten konfrontiert. Für das Leseverstehen ist es dabei wichtig, zu unterscheiden, ob Kinder in digitalen Dokumenten bzw. Texten lesen oder ob sie mit digitalen Medien arbeiten. Zum einen müssen technische Fähigkeiten (Umgang mit dem Computer oder Tablet) erlernt werden, zum anderen müssen die Besonderheiten von digitalen Texten beachtet werden. Wenn ein analoger Text in der gleichen Form digital gelesen wird, handelt sich noch nicht um digitales Lesen. Nur das Medium wurde geändert (z. B. Papier vs. Tablet). Dies hat noch nicht zwangsläufig einen Effekt auf das Leseverstehen (Philipp, 2020a).Für das Lesen in digitalen Texten ist es wichtig, den Aufbau digitaler Texte (z. B. durch Verlinkungen, multimodale Strukturen usw.) zu verstehen und zu reflektieren. Auch die kritische Auseinandersetzung mit Online-Texten und Quellen ist ein wichtiger Bestandteil des Leseprozesses. Dies kann das Leseverstehen sehr stark beeinflussen, da die Kinder einen Text nicht nur „von oben nach unten“ lesen, sondern auch Querverweisen folgen oder der Lesefluss unterbrochen und wieder neu begonnen wird.
Wichtig in digitalen Online-Texten:
- Hypertextstrukturen (Verlinkungen) verändern den Text und die Leserichtung: Es wird nicht mehr nur linear von oben nach unten gelesen.
- Digitale Dokumente und Texte vereinen verschiedene digitale Modi (Videos, Bilder, Visualisierungen, QR-Codes usw.).
- Die Verfügbarkeit von Texten im Internet erfordert einen reflektierten Umgang mit den Inhalten (Stichwort: Fake News).
Aktuelle Studien zeigen, dass digitales Lesen für Schülerinnen und Schüler Herausforderungen für das Leseverstehen darstellt (Philipp, 2018).
- Aufmerksamkeit: Digitale Texte führen häufig zu einer verringerten Aufmerksamkeit. Hyperlinks und graphische Gestaltung können vom Lesen ablenken.
- Arbeitsgedächtnis: Schülerinnen und Schüler müssen beim Lesen sehr viele Informationen verarbeiten, die das Arbeitsgedächtnis belasten, z. B. Bilder, Animationen etc. Dies kommt zur inhaltlichen Verarbeitung des Textes besonders beim Umgang mit Internetquellen hinzu.
- Gesteuertes Vorgehen: Störende Impulse (z. B. Pop-Up-Fenster, Werbung oder Videos im Internet, aber auch mehrspaltige Texte) müssen reguliert und ausgeblendet werden.
- Auseinandersetzung mit den eigenen kognitiven Prozessen: Schülerinnen und Schüler müssen sich selbst stärker reflektieren und ihr Vorgehen beim Lesen überwachen.
Für den Unterricht
Wie kann das Leseverstehen bei digitalen Texten unterstützt werden?
Aufmerksamkeit unterstützen:
- zum Einstieg kurze Texte wählen und die Länge sukzessive steigern
- Austauschphasen mit anderen Kindern einbauen
- Fragen sammeln und anschließend gemeinsam klären
- Umgang mit Hyperlinks und multimodalen Texten üben
Im LESE-FOKUS (vgl. Kap. 3.3) finden Sie z. B. die Methode „Textverständnis durch QR-Codes vertiefen“.
Auch die Anwendung von Lesestrategien ist bei digitalen Texten besonders wichtig. Beispielsweise kann das Vorwissen gesammelt oder die Kommentarfunktion bei digitalen Texten genutzt werden.
Um das Textverständnis bei digitalen Texten zu sichern, müssen die Schülerinnen und Schüler auch eigene Reflexionsaufgaben und Strategiewissen an die Hand bekommen. Dabei spielt vor allem der Umgang mit Hyperlinks eine entscheidende Rolle. Nicht jeder Link in einem digitalen Text muss sofort angeklickt werden. Im Unterricht sollten deshalb Absprachen mit den Schülerinnen und Schülern dazu getroffen werden, wie digitale Texte gelesen werden können und sollen. Nicht verstandene Passagen müssen mitunter mehrfach gelesen werden.
Textverständnis mit QR-Codes
Es existieren – wie bereits deutlich gemacht – verschiedene methodische Ansätze, um Leseflüssigkeit und Leseverstehen zu fördern. Konkrete Methodensammlungen und Tools werden im Folgenden beschrieben.
3.3 Der Methoden- und Materialpool LESE-FOKUS
3.3.1 Was ist LESE-FOKUS?
LESE-FOKUS ist ein systematisch aufgebauter kostenfreier Methoden- und Materialpool für die Leseförderung von Schülerinnen und Schülern der ersten bis vierten Klassenstufe. LESE-FOKUS ist mit einer ebenfalls kostenfreien Sammlung von Methoden mit dazugehörigen Materialien verknüpft, die Lehrkräfte bei der Gestaltung von Förderung und Unterricht konkret unterstützt. Dieser Methodenpool mit den dazu gehörigen Materialien ist kostenfrei über das Portal stift-deutschunterricht.de herunterladbar. Die Methoden und Materialien können sowohl in ausgedruckter als auch in digitaler Form als Word- bzw. PDF-Dokumente genutzt werden.
Der Aufbau von LESE-FOKUS orientiert sich am Lehrplan und enthält verschiedene Förderbereiche, um Schülerinnen und Schüler im Leseerwerb zu unterstützen. Diese beinhalten unter anderem Laut- und Vielleseverfahren, leseanimierende Verfahren sowie Methoden zur Anwendung von Lesestrategien (s. ausgewählte Beispiele in Kap. 3.1 und Kap. 3.2). Die Methoden eigenen sich ebenfalls für den Einsatz in einer strukturierten Förderung wie dem Leseband (s. Kap. 3.5).
3.3.2 Wie ist LESE-FOKUS aufgebaut?
Der Methodenpool besteht aus unterschiedlichen Methodenkarten. Dort findet sich eine Vielfalt an Förderideen für die Bereiche I. Rekodieren und Dekodieren, II. Leseflüssigkeit auf Satz- und Textebene, III. Leseverstehen, IV. Lesestrategien und V. Leseerfahrung (s. Abb. 17).
3.3.3 Die Methoden- und Materialsammlung von LESE-FOKUS
In jeder der Kategorien I. – V. befindet sich eine große Bandbreite an Fördermethoden, die sich in unterschiedlichen Sozialformen, Klassenstufen und Zeitrahmen im Unterricht realisieren lassen. Jede Methodenkarte besteht aus einer Vorder- und einer Rückseite (s. Abb. 18a/b und 19 a/b). Vorne wird die Methode überblicksartig dargestellt und es werden notwendige Materialien aufgelistet oder zusätzlich durch einen QR-Code verlinkt. Auf der Rückseite findet sich eine Beschreibung der Methode inklusive der Förderziele, der Differenzierungsmöglichkeiten, der möglichen Sozialformen und Anmerkungen für den Einsatz im Unterricht. Dort werden beispielsweise Ansätze für den Einsatz im mehrsprachigen Kontext dargestellt. Ergänzendes und vertiefendes Material für Kinder mit Schwierigkeiten im Leseerwerb findet sich im Zusatzmaterial LESE-FOKUSplus, welches in Kapitel 5 ausführlich dargestellt wird.
3.3.4 Leseförderung mit LESE-FOKUS – ein Beispiel
Für die Förderung der Leseflüssigkeit und des Leseverstehens bietet der Materialpool LESE-FOKUS verschiedene methodische Impulse.
Beispielsweise können durch Lautlesetandems (s. Abb. 18a/b) differenzierte Fördersequenzen gestaltet werden, in denen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam das laute Lesen üben.
Lautlesetandem
Beim Lesewürfel (s. Abb. 19a/b), einer weiteren Methode, können Kinder gemeinsam und interaktiv Texte lesen. Diese Methode kann jahrgangsübergreifend angewendet werden.
Die Methodenkarten bieten auch das entsprechende Material (z. B. den Lesewürfel zum Basteln) direkt zum Download an, sodass die Methode sofort genutzt werden kann, ohne anderweitig Material suchen zu müssen.
Lesewürfel
Bei Methoden wie dem Vorlesetheater (s. Abb. 20 & 21) können Kinder ihre schauspielerischen Talente entdecken und gleichzeitig ihre Leseflüssigkeit sowie das Leseverstehen ausbauen.
Diese Methoden lassen sich grundsätzlich auch in einem Leseband einsetzen, sodass eine strukturierte und regelmäßige Förderung der Lesefähigkeiten erfolgen kann (s. Kap. 3.5).
Vorlesetheater
3.3.5 In aller Kürze: Warum und wie LESE-FOKUS einsetzen?
LESE-FOKUS deckt alle lehrplanrelevanten Kompetenzerwartungen für den Bereich Lesen ab.
Die Kategorien enthalten alle Kompetenzbereiche des Lehrplans, sodass die Unterrichtsplanung am Lehrplan NRW (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2021) ausgerichtet werden kann.LESE-FOKUS ist vielfältig einsetzbar: hybride Unterrichtsgestaltung.
Die Methoden und Materialien aus LESE-FOKUS können sowohl analog in Papierform als auch digital verwendet werden (Tablet, Smartboard) und ermöglichen dadurch eine hybride Unterrichtsgestaltung (s. Abb. 18-21).LESE-FOKUS ermöglicht eine breite Methodenvielfalt.
Durch die Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Materialien kann der Leseunterricht abwechslungsreich und ansprechend gestaltet werden. Außerdem orientieren sich die Methoden an den Ebenen der Lesekompetenz aus dem Modell von Rosebrock & Nix (2020) und stützen sich auf aktuelle Erkenntnisse der Leseförderung und -didaktik.LESE-FOKUS kann die methodische Gestaltung eines Lesebandes unterstützen.
LESE-FOKUS bietet methodische Grundlagen, um ein Leseband (s. Kap. 3.5) in der Grundschule umzusetzen und dadurch eine kontinuierliche Leseförderung zu ermöglichen.3.4 LeOn: Online-Tool zur Leseförderung im Unterricht
3.4.1 Was ist LeOn?
LeOn ist die Abkürzung für Leseraum Online. Und genau darum geht es: LeOn ist ein digitales Werkzeug zur Leseförderung für die zweite bis sechste Jahrgangsstufe. Es wird über das Tablet oder den Computer genutzt, z. B. mit Programmen wie Firefox, Edge (Microsoft), Safari (Apple) etc. Für alle Schulen in NRW ist die Nutzung kostenfrei.
LeOn ist eine Leselernumgebung und stützt sich auf erprobte Verfahren der Leseförderung und Lesedidaktik. Im Mittelpunkt der Anwendung stehen Förderansätze, die Schülerinnen und Schüler nachweislich im Lesen verbessern, z. B.:
- Laut- und Vielleseverfahren,
- leseanimierende Verfahren, aber auch
- Lesestrategie-Trainings sowie
- Verfahren des Literaturunterrichts.
LeOn erfüllt als digitale Lernumgebung die Standards eines zeitgemäßen lernförderlichen Unterrichts und zeigt exemplarisch die Bandbreite der Potentiale digitaler Lernmaterialien auf. Im Mittelpunkt steht hierbei auch die Förderung von Zukunftskompetenzen wie kollaboratives und kreatives Lernen. Schülerorientierte und offene Lehr-Lernszenarien sowie Peer-Ansätze unterstützen das gemeinsame Lernen mit digitalen Medien.
WICHTIG
- LeOn ist kein Werkzeug, um das digitale Lesen zu fördern.
- LeOn erfüllt als digitale Lernumgebung die Standards eines zeitgemäßen lernförderlichen Unterrichts und zeigt exemplarisch die Bandbreite der Potenziale digitaler Lernmaterialien auf. Im Mittelpunkt steht hierbei auch die Förderung von Zukunftskompetenzen wie kollaboratives und kreatives Lernen. Schülerorientierte und offene Lehr-Lernszenarien sowie Peer-Ansätze unterstützen das gemeinsame Lernen mit digitalen Medien.
- LeOn funktioniert sowohl am Computer als auch am Tablet. Aber: Am Smartphone kann man nicht gut mit LeOn arbeiten, der Bildschirm ist dort zu klein.
- Eine App muss nicht installiert werden.
3.4.2 Der Aufbau von LeOn
LeOn ist wie ein „Haus des Lesens“ aufgebaut: Die Räume von LeOn dienen dazu, die Kinder bestmöglich beim Lesenlernen zu unterstützen. Die Namen der Räume sind sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler intuitiv zu verstehen. So wird die Orientierung in der digitalen Umgebung erleichtert.
Es gibt zwei Möglichkeiten, sich bei LeOn anzumelden: als Lehrkraft und als Schülerin bzw. Schüler. Lehrkräfte haben die Möglichkeit, Lerngruppen anzulegen, passende Fördermaßnahmen auszuwählen und das „Haus des Lesens“ für die Schülerinnen und Schüler einzurichten.
Schülerinnen und Schüler melden sich per QR-Code an. Wer LeOn betritt, kommt zunächst auf die Startseite (siehe Abb. 22). Hier gibt es eine Übersicht der Räume und Fördermaßnahmen. Zudem gelangen die Kinder in ihren persönlichen Bereich („mein Bereich“). Hier sehen sie ihren Fortschritt: Je länger sie mit LeOn arbeiten und je mehr Anforderungen und Aufgaben sie bewältigen, desto mehr Auszeichnungen bekommen sie. Die Auszeichnungen bestehen aus kleinen Illustrationen. Diese werden alle in einer Übersicht angezeigt.
Die einzelnen Räume in LeOn sind leicht erklärt: Die „Bibliothek“ ist ein Ort geeigneter Texte. Sie kann von der Lehrkraft auch mit weiteren Texten gefüllt werden. Im „Tandem-Raum“ nutzen die Schülerinnen und Schüler die Texte für (digital gestützte) Lautleseverfahren. „Lese-Karaoke“ heißt darüber hinaus, dass die Schülerinnen und Schüler in einem eigenen Raum mit einer professionellen Sprecherin die Texte aus der Bibliothek lesen und Lautleseproben für sich und andere erstellen. So werden etwa im Hörbuchlesen erprobte fachdidaktische Konzepte umgesetzt. Das „Studio“ ist ein digitales Aufnahmegerät für Kinder. Hier können einfach szenische Lesungen und Podcasts gemeinsam oder individuell hergestellt werden. Die Schülerinnen und Schüler befüllen so den klasseneigenen „Hörsaal“. Im „Aufgabenraum“ bearbeiten die Kinder dann für sie vorbereitete Fragen zum Leseverstehen und wenden Lesestrategien an.
Eine umfangreiche Erläuterung zu den Möglichkeiten von LeOn im Unterricht ist in Vorbereitung. Einige Praxisbeispiele zum Einsatz der Räume finden sich weiter unten. Nach der Veröffentlichung wird LeOn über die Bildungsmediathek NRW zu erreichen sein.
- LeOn hat einen Bereich für Lehrkräfte – hier können alle Einstellungen vorgenommen werden.
- Im Bereich für Schülerinnen und Schüler findet die eigentliche Leseförderung statt.
3.4.3 Die Leselernbibliothek
An manchen Schulen gibt es nicht genügend passende Literatur für die Leseförderung. In der Folge ist eine systematische Leseförderung für die Lehrkräfte vor Ort mit großen Herausforderungen verbunden. Das betrifft vor allem Literatur für Kinder, die noch nicht ausreichend flüssig lesen können.
LeOn besteht deshalb im Kern aus einer Leselernbibliothek (s. Abb. 23) mit derzeit ca. 150 Lesetexten für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 2 bis 6.
Passend zu den Anforderungen des Lehrplans sowie der Lese- und Literaturdidaktik umfasst die Leselernbibliothek sowohl Sachtexte als auch literarische Texte, z. B. Kinderkurzgeschichten, fantastische Kinderliteratur sowie Texte aus Kinderzeitschriften. Sie werden von Kolleginnen und Kollegen aus der Grundschule empfohlen. Die Texte der Leselernbibliothek sind nach fachdidaktischen Kriterien ausgewählt und im Unterricht erprobt. Und wenn andere Texte für den Unterricht besonders geeignet sind, können diese einfach in die Leselernbibliothek eingestellt werden. So kann gleichermaßen von der Leselernbibliothek profitiert wie weiterhin auf bewährte Lesetexte für die Förderung gesetzt werden.
Wie in anderen Leselernumgebungen liegen viele Texte für die Jahrgangsstufen 2 bis 4 in drei Lesestufen vor. Das heißt: Inhaltlich gleiche Texte sind so einfach zu lesen, dass auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler sie verstehen. Zudem sind auch leistungsstärkere Leserinnen und Leser gefordert, wenn sie schwierigere Versionen der Texte lesen. So wird der Heterogenität im Deutschunterricht Rechnung getragen, wenn sich gemeinsam über das Gelesene ausgetauscht wird.
Die Leselernbibliothek von LeOn …
- besteht aus fachdidaktisch ausgesuchter Literatur;
- ist von Expertinnen und Experten der Lesedidaktik empfohlen;
- wurde von Lehrkräften im Unterricht erprobt;
- umfasst sowohl Literarisches als auch Sachtexte;
- besteht aus Texten, die in Teilen in Lesestufen vorliegen;
- hat passgenaue Texte und es sind immer ausreichend Texte vorhanden: Kopieren, Ausdrucken oder Heraussuchen von Texten ist nicht mehr so häufig notwendig;
- bietet Differenzierung: Alle können den gleichen Text lesen, der in verschiedenen Schwierigkeitsstufen vorliegt;
- kann individuell für jede Klasse erweitert werden.
3.4.4 Leseförderung mit LeOn: Beispiele
LeOn ist eine umfangreiche Lernumgebung, mit der das Lesen gefördert werden kann. Im Folgenden werden einige Beispiele herausgegriffen. Weitere Möglichkeiten werden in künftigen Handreichungen und Begleitmaterialien dargestellt.
Leseflüssigkeit fördern mit LeOn: im Tandem – als Karaoke – in freien Lesezeiten
Zur Förderung der Leseflüssigkeit hat sich vor allem eine Kombination aus Laut- und Vielleseverfahren bewährt: Für die verschiedenen Formen des Trainierens der Leseflüssigkeit, wie Lautlese-Tandems oder chorisches Lesen, bietet LeOn Unterstützung:
Im Lese-Tandem-Raum (siehe Abb. 24) können durch die Lehrkraft zugewiesene oder selbst gewählte Texte gemeinsam in kooperativen Verfahren gelesen werden. Durch die Videofunktion sind die Verfahren auch nutzbar, wenn Schülerinnen und Schüler einmal nicht vor Ort sein können. Zudem unterstützt LeOn den Leseprozess durch digitale Hilfssysteme. So können z. B. die Silben-Markierung an- oder ausgeschaltet und Schriftgrößen beim Lesen angepasst werden. Es ist auch möglich, schwierige Wörter vorlesen zu lassen. Wie beim chorischen Lesen üblich, werden im Karaoke-Raum zudem vertonte Texte gelesen.
Das heißt: Die Schülerinnen und Schüler lesen synchron mit einer professionellen Sprecherin. Die Kinder lesen dabei für sich halblaut mit, probieren sich und ihre Stimme aus und passen die Geschwindigkeit an. Die Texte der Leselernbibliothek stehen hier in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und in den genannten digitalen Hilfssystemen zur Verfügung.
Wenn sich die Schülerinnen und Schüler sicher sind, nehmen sie eine Leseprobe auf und stellen sie der Lehrkraft zur Verfügung. So besteht die einfache Möglichkeit, die Leseproben über die Zeit zu vergleichen und Lernfortschritte festzustellen.
Zudem nutzen die Kinder die Leselernbibliothek für freie Lesezeiten in der Woche und bewerten die Texte nach einem einfachen Punktesystem. Sie haben so die Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe am Lesen und an der Literatur.
Die Verfahren haben sich bewährt, wenn dafür feste Lesezeiten (zwei bis drei Termine pro Woche) reserviert werden. Zudem hat es sich – je nach Jahrgangsstufe – als passend erwiesen, je Termin zwischen 10 bis zu 20 Minuten Zeit einzuplanen. Eine ganze Unterrichtsstunde sollte es aber nicht dauern, weil das die Schülerinnen und Schüler häufig überfordert. LeOn unterstützt damit bereits etablierte Leseförderprogramme in NRW.
LeOn …
- unterstützt alle gängigen Laut- und Vielleseverfahren;
- bietet digitale Hilfssysteme zur Unterstützung, z.B. Silben-Markierung an oder aus, Schriftgrößen beim Lesen anpassen und schwierige Wörter vorlesen lassen;
- bietet eine professionelle Vorleserin für das chorische Lesen.
Leseverstehen fördern und Literaturunterricht mit LeOn
In LeOn können Sie zu Ihrem Text oder den Texten der Leselernbibliothek Aufgaben zum Leseverstehen einstellen, die den Schülerinnen und Schülern zur Bearbeitung angezeigt werden. So haben die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeitsblätter immer mit dabei. Zudem kann der Aufgabenraum so gestaltet werden, dass die Aufgabenschritte literarischer Gespräche automatisch angezeigt werden und die Bearbeitungsschritte von Lesestrategietrainings mit den Lesepiloten angezeigt werden.BEISPIEL
Der Lesepilot macht Schülerinnen und Schüler mit grundlegendem Lesestrategiewissen bekannt. Eine klare Schrittfolge „lenkt“ sie durch den Text und fordert sie zum Reflektieren ihres Leseprozesses auf (s. 3.2).
Der Lesepilot kann auch auf analoge Texte angewendet werden.
LeOn bietet wie oben dargestellt ein „Studio“. Hier werden die eigenen Aufnahmen bearbeitet, geschnitten, montiert etc. Wie im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht üblich, entstehen eigene Hörspiele, szenische Lesungen und Aufnahmen von Hörtexten. Diese werden in die eigene digitale Hörspielbibliothek eingestellt und stehen allen Schülerinnen und Schülern der Klasse zur Verfügung.
In LeOn …
- können Aufgaben zum Leseverstehen bearbeitet werden;
- lassen sich Lesestrategietrainings (u.a. Lesepiloten) durchführen;
- werden literarische Gespräche unterstützt.
3.4.5 In aller Kürze: Warum LeOn einsetzen?
Erstens: LeOn ist vielseitig nutzbar.
Ob im Unterricht, in Fördereinheiten, im Ganztagsangebot oder als Hausaufgabe – LeOn ist einfach zu bedienen und kann auch beim Lernen auf Distanz oder in Präsenz genutzt werden. Auch für digitale Vertretungsstunden und zur Umsetzung langfristig angelegter Förderung (z. B. Leseband) ist LeOn ein hilfreicher Begleiter.Zweitens: Leon ist ein Ort guter Texte für das Lesen.
Das Herzstück von LeOn ist die Leselernbibliothek. Es steht eine große Auswahl von passgenauen Lesetexten für die Förderung kostenfrei zur Verfügung. Alle Texte sind in der Praxis erprobt und fachdidaktisch geprüft. Die Auswahl ist mit dem Lehrplan abgestimmt und enthält wesentliche Textsorten aus der schulischen Praxis.Drittens: Leon passt zum Unterricht – auch digital.
Die Texte sind für die Schülerinnen und Schüler passgenau. Sie sind so ausgewählt, dass sie zu der Jahrgangsstufe, zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und zu den Themen im Unterricht passen. Viele Texte liegen deshalb auch in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen vor. LeOn nutzt dabei die Vorteile der Digitalisierung beim Lesenlernen.3Viertens: Leon ist ein Ort systematischer Leseförderung
LeOn unterstützt erprobte Lesefördermaßnahmen, die bereits jetzt in vielen Schulen stattfinden. Auch leseschwache Leserinnen und Leser profitieren so vom Unterricht mit LeOn.3 Hinweise zur Förderung und zur Arbeit mit LeOn werden in weiteren Handreichungen veröffentlicht.
3.5 Systematisierte Leseförderung mit dem Leseband
Regelmäßige Lesephasen und Lesetrainings sind zur Verbesserung der Lesekompetenz unerlässlich. Das gilt für alle Schülerinnen und Schüler, aber insbesondere für Kinder mit wenig Vorerfahrung im Lesen. Mit dem Leseband soll Leseförderung systematisch und konstant im Schulalltag verankert werden. Ziel des Lesebandes ist es, die Leseflüssigkeit als Grundlage für das Leseverstehen zu trainieren sowie die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler zu steigern. Dabei sollten Laut- und Leiseleseverfahren im Idealfall kombiniert werden.
In verschiedenen Modellprojekten konnten die Erfolge ritualisierter Lesezeiten nachgewiesen werden (Gailberger et al., 2021). Eine zentrale Stellschraube ist hier das „Erwartung-mal-Wert-Modell“ (Hasselhorn & Gold, 2013). Die Kinder erleben Lesefördermaßnahmen als gewinnbringender, wenn sie einen Nutzen daraus ziehen können und gleichzeitig nicht überfordert werden, da die Aufgabe bewältigbar ist. Diese vereinfachte Darstellung des Modells kann in zwei Fragen konkretisiert werden: „Gefällt mir, was ich tue?“ und „Kann ich es schaffen?“. Wenn diese beiden Faktoren gegeben sind, steigt die Lesemotivation auch beim ritualisierten Lesen deutlich (Gailberger et al., 2021).
Die regelmäßige Lesezeit sollte drei, besser fünf Mal pro Woche fest in den Stundenplan implementiert werden – hier handelt es sich folglich um eine schulprogrammatische Aufgabe. Die Schulleitung sowie die Lehrkräfte innerhalb eines Kollegiums sollten in allen Fächern daran beteiligt werden, um die Wahrnehmung der Relevanz und die Nachhaltigkeit der Maßnahme zu stärken (Gailberger et al., 2021). Deshalb ist es wichtig, dass das Leseband vom gesamten Kollegium mitgetragen wird. Eine zentrale Frage ist beispielsweise, ob alle Jahrgänge einer Schule gleichzeitig an der ritualisierten Lesezeit teilnehmen oder ob diese zu unterschiedlichen Zeiten umgesetzt wird.
WICHTIG
Wichtige Aspekte für die Umsetzung eines Lesebands
- Übergreifende Einigung im gesamten Kollegium
- Feste Lesezeiten für die gesamte Schule einführen
- Lesezeiten fest im Tagesablauf einplanen und beispielsweise offiziell einläuten
- Auswahl geeigneter Methoden (z.B. Lautleseverfahren) und Herangehensweisen
3.5.1 Wie kann das Leseband gestaltet werden?
Die Gestaltung eines Lesebands kann anhand der Klassenstufe bzw. des Lernstands der jeweiligen Lerngruppe gestaltet werden (Gailberger et al., 2021). Geeignet sind z. B. Lautleseverfahren, die …
- die Leseflüssigkeit fördern;
- die Freude am Lesen wecken, weil sie z. B. in Partner- oder Gruppenarbeit durchgeführt werden;
- nicht nur die kognitiven Fähigkeiten fördern, sondern die Kinder auch auf emotionaler Ebene positiv ansprechen.
Der Methoden- und Materialpool LESE-FOKUS (s. Kap. 3.3) bietet hier vielfältige Anregungen.
Eine weitere strukturierte Anwendungsmöglichkeit ist die Umsetzung des Lesebands mit LeOn (s. Kap. 3.4). Eine Mischung aus analogen und digitalen Texten ist sinnvoll. LeOn bietet hier eine gute strukturelle Hilfe und die Möglichkeit, Texte differenziert und lerngruppenspezifisch auszuwählen.
Für den Unterricht
Inhaltliche Anregungen für die Umsetzung im Unterricht:
- für die 1./2. Klasse: Vorlesen (z. B. mit dem Vorlesetheater oder dem Lesespaziergang), auch eine digitale Umsetzung ist möglich
- für die 2. Klasse: z. B. chorisches Lesen, eigenständiges Lesen von kurzen Texten, Lautlesetandems
- für die 3./4. Klasse: z. B. Lautlesetandems & Vorlesetheater, Hörbuchlesen, Lesewürfel
Der Einsatz von Fördermethoden, z. B. das Training von Lesestrategien oder der Einsatz von Lesetagebüchern, kann je nach Lerngruppe eine zu große Herausforderung im Rahmen des Lesebands sein, da die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler möglicherweise noch nicht ausreichend ausgebaut ist (Gailberger et al., 2021). Es empfiehlt sich, mit Trainings zur Leseflüssigkeit oder bei mehrsprachigen Kindern zum Ausbau des Wortschatzes zu beginnen.
Leseband
Eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Entwicklung zur autonomen Leserin bzw. zum autonomen Leser ist die Entwicklung eines Leseselbstkonzeptes (s. Kap. 1). Schülerinnen und Schüler haben bereits motivationale Überzeugungen, die ihr Selbstkonzept als Leserin oder Leser betreffen. Das Leseselbstkonzept wird Teil der eigenen Schülerinnen- und Schülerpersönlichkeit und maßgeblich im Kontext Schule herausgebildet (Goy et al., 2017).
Um das Leseselbstkonzept zu stärken, können im Rahmen des Lesebands für die Schülerinnen und Schüler relevante und interessante Texte auf unterschiedlichen Niveaustufen gewählt werden. Gleichzeitig sollte auch die Förderung von basalen Fähigkeiten im Fokus stehen.
Das Leseband eignet sich nicht nur als zusätzliche Variante der intensiven Förderung der basalen Lesefähigkeiten, sondern auch für die Förderung von guten Leserinnen und Lesern. Diese können in ihrem Interesse an Büchern, Schriftsprache und längeren und komplexeren Texten unterstützt werden, beispielsweise im Rahmen eines Lautlesetandems, indem sie andere Kinder in ihrem Leselernprozess unterstützen. Wichtig sind deshalb die methodische Vielfalt sowie eine ausgeprägte und differenzierte Lesekultur, z. B. die Bereitstellung von Texten mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden.
KURZ & KNAPP
Wie können Leseflüssigkeit und Leseverstehen gefördert werden?
- Die Leseflüssigkeit ist grundlegende Voraussetzung für das Leseverstehen.
- Leseflüssigkeit setzt sich zusammen aus Lesegenauigkeit, Automatisierungsprozessen, Lesegeschwindigkeit und Prosodie. Alle Teilkomponenten sollten zentrale Bestandteile der Förderung sein.
- Lesestrategien sind eine wichtige Grundlage für das Leseverstehen.
- Leseverstehen in digitalen Texten kann Schülerinnen und Schüler vor Herausforderungen stellen.
- Das Leseband ermöglicht eine systematische und intensive Leseförderung.
- LESE-FOKUS und LeOn sind geeignete Angebote, um eine strukturierte Leseförderung im Leseband zu gestalten.
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