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1. Informationen zu den Inhalten dieser Handreichung
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„Unser Ziel … ist es …, Bildungschancen von geflüchteten und anderen neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen zu eröffnen und zu verbessern, damit sie in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit erhalten, ihre Schulbiographie trotz flucht- bzw. migrationsbedingter Brüche fortzuführen und erfolgreich zu gestalten.“ Diese Formulierung aus dem Rahmenkonzept zur Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Juli 2022, S. 3) beschreibt die Intention der Gestaltung des Teilbereichs „Integration durch Bildung“ an den Schulen in Nordrhein-Westfalen. Dass ein zentraler Baustein der Gestaltung dieses Bereiches der Erwerb (bildungs-)sprachlicher Kompetenzen unter Zweitspracherwerbsbedingungen ist, stellt einen bekannten ganzheitlichen und komplexen Handlungsauftrag dar: Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche, die eine andere Erstsprache haben, erwerben die deutsche Sprache im Rahmen einer für sie neuen Lebenssituation und stehen vor der Herausforderung, ihr erworbenes Wissen unmittelbar in einer kommunikativ anspruchsvollen Umgebung anwenden zu müssen. Hierbei bringen sie diverse Lernbiographien und Motivationslagen mit. Eine wesentliche Unterstützung für eine erfolgreiche Sprachentwicklung der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen ist es, ihre mitgebrachte(n) Sprache(n) wertzuschätzen, indem sie in den Schulalltag sowie in die Planung des Unterrichts miteinbezogen werden und ihr Einsatz aktiv gefördert wird. Weitere Hinweise zur Berücksichtigung mehrsprachiger Kompetenzen sind in der Broschüre „Pädagogische Orientierung zur sprachlichen Bildung“ enthalten.
Die Grundlagen für die Beschulung und den Unterricht neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler werden im Runderlass des Ministeriums für Schule und Bildung „Integration und Deutschförderung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler“ benannt.
Als Ziel der Deutschförderung wird in diesem Erlass „das Erreichen des Sprachniveaus B1, orientiert am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR)“ definiert:
- „Schülerinnen und Schüler, die dieses Sprachniveau erreichen, verfügen über hinreichende Deutschkenntnisse.“
Weiterhin wird im Runderlass die folgende Möglichkeit für schriftunerfahrene Kinder und Jugendliche eröffnet:
- „Schülerinnen und Schüler, die über keine grundlegenden Kenntnisse im Lesen und Schreiben verfügen oder nicht im lateinischen Schriftsystem alphabetisiert sind oder keine oder nur eine geringe schulische Vorbildung mitbringen, können zunächst bis zu einem Jahr eine Lerngruppe zur Erstalphabetisierung besuchen. … Der Erstalphabetisierung schließt sich die weitere Deutschförderung … an. Diese erfolgt in der Regel nach spätestens einem Jahr oder sobald die Schülerin oder der Schüler die Anforderungen des Sprachniveaus A1 des GeR erfüllt und das deutsche Schriftsystem sowie Grundkompetenzen in der deutschen Sprache erworben sind“.
Die vorliegende Handreichung enthält auf dieser Grundlage:
- Eine Darstellung von Grundsätzen der Arbeit mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen im Rahmen des Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerbs,
- fachliche Hinweise zu den Grundlagen der Gestaltung eines Alphabetisierungsprozesses im Rahmen des Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerbs,
- eine Beschreibung der Inhalte der Teilbereiche des Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerbs sowie der zugeordneten Kompetenzentwicklungen bis zum Sprachniveau B1,
- eine idealtypische zeitliche Progression des Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerbs bis zum Sprachniveau B1.
Die Handreichung versteht sich als Fortführung der Broschüre „Deutschlernen in der Primar- und Sekundarstufe I“ (11/2020) und hat einen empfehlenden Charakter. Sie richtet sich vorrangig an Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte, die neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Organisationsformen der Deutschförderung unterrichten. Im Kapitel 7 „Idealtypische Progression der Deutschförderung“ werden darüber hinaus schulorganisatorische Regelungen in den Blick genommen.
Auf die folgenden beiden Aspekte soll vorab besonders hingewiesen werden:
- Die auf den Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerb konzentrierten Lernprozesse von Kindern und Jugendlichen werden als Bestandteil der ganzheitlichen Entwicklung des „individuellen Lernstands, der individuellen Lernentwicklung sowie der zu erwartenden Leistungsfähigkeit“ eines Kindes oder Jugendlichen verstanden (s. Nummer 4.1.2 des genannten Runderlasses).
Die aus den Lernerfolgen resultierenden Entscheidungen für die weitere Bildungsbiographie und insbesondere die Zuordnung zu einem Bildungsgang (s. Nummer 4.1.1 des genannten Runderlasses) verstehen sich somit nicht im Sinne des Ergebnisses eines standardisierten Diagnoseverfahrens oder eines formellen „Abhakens“ statischer Items, die alle auf einem einheitlichen Niveau zu erreichen seien (s. hierzu auch Kapitel 3). Vielmehr verstehen sich die zu treffenden Entscheidungen als Bestandteil der ganzheitlichen, individuellen Förderung eines Kindes oder Jugendlichen ausgerichtet auf die Frage, ob sie „über hinreichende Deutschkenntnisse verfügen, um dem Unterricht zu folgen“ (Nummer 4.1.2 des genannten Runderlasses). - Die Deutschförderung ist mit dem Erreichen des Sprachniveaus B1 nicht abgeschlossenen. Sie bedarf vielmehr der kontinuierlichen und systematischen Fortführung in einem Unterricht, dessen Planung, Durchführung und Auswertung sich an dem Prinzip der durchgängigen Sprachbildung unter Zweitspracherwerbsbedingungen ausrichtet (s. „Pädagogische Orientierung zur sprachlichen Bildung“). Gleichzeitig benötigen die zugewanderten Schülerinnen und Schüler, die unter den Voraussetzungen des Sprachniveaus B1 am (Fach-)unterricht teilnehmen, einen sprachlichsensiblen Unterricht, um erfolgreich lernen zu können.
Um die letztgenannten Aspekte aus unterrichtspraktischer Perspektive zu konkretisieren, wird die vorliegende Handreichung in Kürze durch eine Veröffentlichung zur fachbezogenen Sprachförderung ergänzt. Hierin wird exemplarisch und orientierend dargestellt, wie ein gelingender Übergang von der Erstförderung in den Regelunterricht hinsichtlich der sprachlichen Kompetenzen für ein erfolgreiches Lernen in den Sachfächern gestaltet werden kann.
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