-
6. Teilkompetenzen und Konkretisierungen der Deutschförderung
Foto: 2024 Rido/shutterstock.com
In diesem Kapitel werden Inhalte und Gestaltungselemente der Teilbereiche der Deutschförderung näher beschrieben. Die Teilbereiche entsprechen den Teilfertigkeiten, für die im GeR das jeweilige Sprachniveau definiert wird.
Teilbereiche der Deutschförderung
Auch wenn die Teilbereiche im Folgenden getrennt voneinander dargestellt werden, sind die damit verbundenen Kompetenzen im Sinne eines integrativen Deutschunterrichts9 aufeinander bezogen. Hierzu gilt es, ausgehend von kommunikativ bedeutsamen Aufgabenstellungen, facettenreiche und altersangemessene Lerngelegenheiten zu schaffen, die mehrere der folgenden Teilbereiche berücksichtigen:
- Hör- und Hör-/Sehverstehen
- Sprechen: an Gesprächen teilnehmen und zusammehängend sprechen
- Schreiben
- Lesen
- Sprachmittlung10
Die Deutschförderung zielt als Zusammenspiel dieser Teilbereiche darauf ab, die Lernenden sprachlich in die Lage zu versetzen, die verfügbaren schulischen Bildungsangebote möglichst umfänglich und eigenständig nutzen zu können.11
Insbesondere die Sprachmittlung spielt für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die Deutsch als Zweitsprache erlernen, eine wichtige Rolle. Gemeint ist hiermit „jede Art der Übertragung eines Textes aus einer Sprache in eine andere“12. Formen der Sprachmittlung, in denen die Herkunftssprachen der Lernenden durch sie selbst oder Mitschülerinnen und Mitschüler zur Verständnissicherung einbezogen werden, vermitteln den Wert der mitgebrachten Sprachen und bilden einen wichtigen Baustein der inneren Differenzierung. Gleichzeitig eröffnen Situationen, in denen zugewanderte Schülerinnen und Schüler bereits erworbene Deutschkenntnisse nutzen, um z. B. neu angekommene Mitschülerinnen und Mitschüler zu unterstützen, einen wichtigen Anlass für Sprachvergleiche und die Entwicklung eines Sprachenbewusstseins.13
Die Unterrichtssprache in einem an diesem Prinzip ausgerichteten Unterricht bleibt Deutsch, die Herkunftssprachen der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen aber regelmäßig im Unterricht vor. Erste grundlegende Schritte hierzu können sein:
- Begrüßungen, Glückwünsche oder ein Lob werden in den Herkunftssprachen überbracht
- Einsatz mehrsprachiger Wörterbücher oder Einsatz von Materialien wie „Kalender der Sprachen“
- Einsatz eines Wortschatzes aus den Herkunftssprachen zur Übung von Buchstaben
- Übertragung erlernter Wörter oder Sätze in der deutschen Sprache in bekannte Herkunftssprachen
Vermittlung von Routinen und Lernstrategien
Um den Lernenden in dem anspruchsvollen Prozess des Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerbs die Möglichkeit zu eröffnen, von Beginn an strukturgebende und autonomiefördernde Lerntechniken zu erwerben und weiterentwickeln zu können, spielt die Vermittlung sprachlicher und sozialer Routinen sowie von Lernstrategien eine entscheidende Rolle. Den Lernenden werden auf diese Weise sprachliche Mittel an die Hand gegeben, die es ihnen ermöglichen, sich im Unterricht zu orientieren und gleichzeitig Muster für ihr eigenes sprachliches Handeln zu entwickeln.
Für Lehrkräfte eröffnet sich durch den Aufbau der Routinen und Strategien eine Struktur für lernförderliches Feedback und eine wichtige Orientierung für den Zeitpunkt und die Ausrichtung von Entscheidungen über die weitere Bildungsbiographie.
Die folgende Aufzählung sprachlicher und sozialer Routinen sowie von Lernstrategien versteht sich als exemplarische Auswahl, die schulintern, altersgemäß und gruppenbezogen ausdifferenziert werden sollte:
Allgemeine Lernsituationen14 sprachliche und soziale Routinen/Lernstrategien Mitarbeit im Unterricht Gehe zum Smartboard/zur Tafel und schreibe … an.
Bitte beantworte die Frage. Antworte bitte im ganzen Satz.
Melde dich bitte! Benutze die Meldekarte!
Bearbeite bis morgen zu Hause diese Aufgabe:
…Mit Arbeitsmaterialien umgehen Öffnet das Buch auf Seite … Schreibe den Text in dein Heft.
Benutze bitte einen Füller/Bleistift … Nimm das Lineal und unterstreiche.
…Zeitmanagement Ihr habt für die Aufgabe 15 Minuten Zeit.
Bitte komme morgens immer 10 Minuten vor dem Unterricht.
Wir treffen uns morgen um 08.30 Uhr auf dem Schulhof.
…Kooperation und Partizipation Wie geht es dir heute? Zeige auf das passende Bild.
Ich brauche Unterstützung. Kannst du mir bitte helfen? Ich habe eine Frage.
Bearbeite die Aufgabe in Partner-/Gruppenarbeit (zunächst ohne Schrift)
Was hast du heute gelernt? Beschreibe es … (einer Mitschülerin oder eines Mitschülers)
Was kannst du gut? Bitte kreuze an.
…Sprachliche Lernsituationen15 sprachliche und soziale Routinen/Lernstrategien Hör- und Hör-/Sehverstehen - (sich oder Mitschülerinnen und Mitschülern) etwas laut vorlesen
- um Wiederholung und/oder deutlicheres/langsameres Sprechen bitten
- durch Rückfragen Verständnis sichern („Habe ich es richtig verstanden, dass …“)
- internationale Wörter als Verstehenshilfen nutzen
- …
Sprechen - Unterschied zwischen der Höflichkeitsanrede bei (fremden) Erwachsenen und persönlicher Anrede bei Freunden und Familie kennen
- gängige Höflichkeitsformen als Chunks lernen und im Rollenspiel festigen
- Verhalten bei Diskussionen: aktives Zuhören, sich gegenseitig aussprechen lassen, sich auf vorgebrachte Argumente beziehen
- Verwendung von Stichworten (als Merkzettel)
- Redemittel für Feedback kennen, Feedback geben und Feedback annehmen üben
- …
Schreiben - Mindmaps, Stichwortsammlungen und andere Formen als Ausgangsbasis für die Textproduktion erstellen
- Sprachenportfolio/Lerntagebuch anlegen
- Eine detaillierte Beschreibung der Leistungen, die Schülerinnen und Schüler am Übergang von der Erstförderung in die Regelförderung in dieser zentralen Teilfertigkeit erbringen, befindet sich in der Handreichung16:
„Was bringen Schülerinnen und Schüler am Übergang von der Erst- in die Anschlussförderung mit?“ - …
Lesen - Vorwissen aktivieren: „Was weißt du schon über das Thema …?“/„Unterhalte dich mit deinem Nachbarn über das Thema … (auch mehrsprachig)“
- Lesestrategien nutzen, z. B.: „Unterstreiche im Text unbekannte Wörter. Formuliere eine Überschrift zu dem Text.“
- Informationen aus altersgemäßen Nachschlagewerken entnehmen
- …
Sprachmittlung - Mimik, Gestik und Körpersprache zielgerichtet einsetzen
- mit schwierigen Situationen, Vorurteilen, … umgehen (Wie wirkt das, was ich sage? Was mache ich bei Missverständnissen?)
- Arbeit mit einem altersgemäßen Wörterbuch oder mit Wortschatzsammlungen, ein- und zweisprachig
- Wörter nach verschiedenen Gesichtspunkten sortieren können
- …
Merkmale lernförderlichen Unterrichts im Deutsch-als-Zweitsprache-Erwerb
Ergänzend zum Erwerb von sprachbildenden Routinen und Strategien kann eine Orientierung an den folgenden Merkmalen lernförderlichen Unterrichts einen Beitrag dazu leisten, Schülerinnen und Schüler bei der Kompetenzentwicklung entsprechend dem Sprachniveau B1 zu unterstützen:
Merkmale und Beispiele lernförderlichen Unterrichts Unterricht planen Regelmäßige Orientierung über den Sprachlernstand der Schülerinnen und Schüler: - z. B. mit Hilfe der Niveaubeschreibungen Deutsch als Zweitsprache für die Primarstufe bzw. Deutsch als Zweitsprache für die Sekundarstufe I (s. https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/14490 und https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/14477) oder komplexeren Tools wie z. B. https://www.bimm.at/themenplattform/thema/sprachfoerderung-in-verbindung-mit-usb-daz-materialien-und-tipps/
Unterricht gemeinsam mit weiteren Personen planen, die die Schülerinnen und Schüler kennen: weitere Fach-, Klassen-, HSU-Lehrkräfte, pädagogisches Personal (Ganztag/OGS) Einplanen von Verstehens- und Produktionshilfen als Differenzierungsmaterial: - Vokabelvorentlastung, Strukturierungshilfen, fachsprachliche Übungsblätter mit Formulierungshilfen, Phasen kooperativen Lernens, gemeinsame Sprachreflexion über Wortbedeutungen, Lernplakate, …
sprachliche Hilfestellungen in den Unterricht einplanen (auch unter Einbeziehung der Herkunftssprachen der Lernenden): - Bilder, Satzmuster, Fragen, Formulierungen, Themenplakate in deutscher Sprache und der Herkunftssprache
Sensibilität gegenüber der Integrationssituation der Lernenden - Situationen ermöglichen, in denen die Lernenden über ihre aktuelle Lebenssituation sprechen können, weitere Anregungen https://healingclassrooms.de
Prinzip „Jeder Unterricht ist DaZ-Unterricht“: - möglichst alltagsrelevante Kommunikationshandlungen als Ausgangspunkt
- regelmäßige Wiederaufnahme und Erweiterung von bereits Gelerntem; erlerntes sprachliches Material in Sprechanlässen wiederaufgreifen und erweitern
Berücksichtigung der Herausforderungen der Fachsprache für Zweitsprachlernende Alltagssprache anbieten bzw. alltagssprachliche Fähigkeiten nutzen und durch bildungssprachliche Elemente zu Bildungssprache führen: - Einüben typischer Satzmuster wie „Wenn-dann-Formulierungen“ oder Satzmuster zur Begründung oder Dokumentation einer Beobachtung
- Scaffolding, erweiternder Input (Wortschatzhilfen, Satzanfänge, Satzverbindungen, Chunk-Learning, Satzmuster)
- Arbeit mit Minidialogen zur Einführung von Redemustern
- Einüben von Funktionswörtern wie Artikel oder Konjunktionen
Sprachliche und fachliche Darstellungen im Raum sichtbar machen, sprachliches Lernen visuell anreichern - z. B. mathematische Formeln und Begriffe, häufig verwendete Redemittel und Fachwörter auf Merkplakaten sichtbar machen
- Arbeit mit Schaubildern, in denen Fachvokabular Bildausschnitten zugeordnet wird
- Kommunikation durch Bilder, Fotos, Gegenstände, Symbole unterstützen
- Filmmaterial zur Ergänzung von Höreindrücken durch visuelle Informationen
Möglichkeiten zu sprachlichem Lernen in unterschiedlichen (rezeptiven und produktiven) Bereichen anbieten: abwechselnde Methoden für unterschiedliche Hör-, Sprech-, Lese- und Schreibanlässe - Austausch im Tandem, Tandemlesen, Schreibübungen nach Mustern, niederschwellige Ergebnispräsentationen mit Hilfestellungen
- Digitale Assistenten zulassen (Übersetzungsapps, Vorlese-Diktierstifte)
sprachsensibles, fehlerfreundliches Agieren Sprachäußerungen fördern und wertschätzen; Herkunftssprachen als Ressourcen und Bereicherung nutzbar machen und anerkennen Handlungsbegleitendes Sprechen - Sprechen durch (Zeige-)Gesten oder Bildkarten unterstützen
Sprache im Unterricht zum Thema machen: - Internationalismen suchen, nach Wortfamilien fragen, bekannte Wörter suchen, Übersetzungen/Synonyme suchen, Sprachvergleiche anregen
(schrift)sprachliche Fehlproduktionen, vor allem bei spontanen Sprachäußerungen im Sinne einer Interimssprache als Sprache von Lernenden verstehen; konstruktiver und sensibler Umgang mit Fehlern durch Modellieren, Aufgreifen (Umformung, Selbstkorrektur, korrigieren des Feedback, Vervollständigung) - „Ich kann Stift leihen?“ – „Ja, du kannst den Stift ausleihen.“
- „Ich komme von Syrien“ – „Ja, das stimmt, du kommst aus Syrien.“
- „Buch“ – „Ja, das ist das Buch für den Englischunterricht.“
Die Inhalte der auf diese Weise begleiteten Lernprozesse zielen entsprechend dem Sprachniveau des GeR auf die sukzessive Entwicklung der folgenden Kompetenzen ab: